Leitsatz
Der Vermieter kann sich auf eine von ihm ausgesprochene Eigenbedarfskündigung wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben nicht berufen, wenn er der Pflicht zum Angebot einer freistehenden Alternativwohnung zuwider gehandelt hat, selbst wenn der Mieter nach Ausspruch einer zeitlich nachfolgenden Eigenbedarfskündigung die Anmietung der nunmehr angebotenen Alternativwohnung ablehnt. Die Treuwidrigkeit ist allenfalls dann zu verneinen, wenn der Mieter zu keinem Zeitpunkt Interesse daran hatte, die Alternativwohnung anzumieten. Das Berufungsgericht hat eine in einem gemäß § 283 ZPO nachgelassenen erstinstanzlichen Schriftsatz erklärte neuerliche Kündigung gemäß § 533 Nr. 2 ZPO nur zu berücksichtigen, wenn sie auf einer mit einer zuvor in den Rechtsstreit eingeführten Kündigung kongruenten Tatsachengrundlage beruht.
A. Problemstellung
- Gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB i.V.m. § 573 Abs. 1 BGB liegt ein berechtigtes Interesse an einer ordentlichen Kündigung dann vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Grundsätzlich ist dabei der aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG resultierende Eigennutzungswunsch des Eigentümers zu beachten. Im Vergleich zu anderen Kündigungsgründen ist die Kündigung wegen Eigenbedarfs privilegiert (vgl. Häublein, WuM 2014, 635). Grund hierfür ist die sich aus Art. 14 GG ergebende Eigentumsposition des Vermieters. Die Privilegierung erfährt neben ihrer Grenze in der Sozialklausel des § 574 BGB (vgl. hierzu Herlitz, jurisPR-MietR 6/2015 Anm. 4, m.w.N.) ihre Grenze auch bei einer rechtsmissbräuchlichen Anwendung dieses Kündigungsgrundes. So ist die Eigenbedarfskündigung dann rechtsmissbräuchlich, wenn der Vermieter zwar wegen Eigenbedarfs kündigt, aber dem Mieter nicht eine vergleichbare Wohnung anbietet, die dem Vermieter aber zur Anmietung zur Verfügung steht. Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit darin, dass – offenbar nachdem der Vermieter die geringen Chancen seiner Räumungs- und Herausgabeklage erkannt hat – in einem nachgelassenen Schriftsatz erneut eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen hat und der Mieter bekundete, kein Interesse an der Anmietung dieser Wohnung zu haben.
- B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
- Der Vermieter kündigte wegen Eigenbedarfs, ohne den Mietern eine zu dieser Zeit im selben Haus zur Anmietung freistehende Wohnung anzubieten. Nachdem die Mieter die Kündigung nicht akzeptierten, klagte der Vermieter auf Räumung und Herausgabe der entsprechenden Wohnung.Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen und berücksichtigte auch nicht eine neuerliche Eigenbedarfskündigung vom 10.11.2014. Der Vermieter ging in die Berufung. Sie erkannten keine Verletzung der Anbietpflicht. So hatten nämlich die Mieter außergerichtlich am 15.12.2014 erklärt, kein Interesse an der Anmietung der angebotenen Wohnung zu haben.Das LG Berlin teilte jedoch die Ansicht des Amtsgerichts und meinte, die Kündigung sei rechtsmissbräuchlich.Das Landgericht führte zunächst den bekannten Grundsatz aus, dass der wegen Eigenbedarfs berechtigt kündigende Vermieter dem Mieter eine andere, ihm zur Verfügung stehende vergleichbare Wohnung während der Kündigungsfrist zur Anmietung anzubieten habe, sofern sich die Wohnung im selben Haus oder in derselben Wohnlage befinde. Dieser Grundsatz folge daraus, dass die Kündigung von Wohnraum in die Lebensführung eines Mieters besonders stark eingreife, der Vermieter deshalb gehalten sei, diesen Eingriff abzumildern, soweit ihm dies möglich sei (vgl. auch BGH, Urt. v. 13.10.2010 – VIII ZR 78/10).Gegen den Einwand, dass die zwischenzeitlich (also im Rahmen des Verfahrens) angebotene Wohnung mit der streitgegenständlichen Wohnung nicht vergleichbar sei, da sie zwar eine ähnliche Fläche aufweise, aber nur über zwei – davon ein gefangenes – Zimmer und eine Wohnküche verfüge, meinte das Landgericht, dass es letztlich Sache des betroffenen Mieters sein müsse, ob er gegenüber der bisherigen Wohnung sich ergebende Nachteile hinnehme oder nicht.Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht konnten den Mieter verstehen, wenn er die angebotene Wohnung nunmehr nicht annehme. Die Berufungsinstanz begründete dies damit, dass die nunmehrige Ablehnung nachvollziehbar sei, da die Verhältnisse bei der Ablehnung vom 15.12.2014 insbesondere wegen des inzwischen ausgetragenen Rechtsstreits andere seien als zur Zeit der Kündigung vom 23.11.2012 – also mehr als ein Jahr vor Erhebung der Klage. Unerheblich sei dabei die Ablehnung einer angebotenen Wohnung nach Ablauf der Kündigungsfrist und auf eine neue Kündigung hin.Die Berufungsinstanz teilte auch die Ansicht des Amtsgerichts, dass die Schriftsatzkündigung vom 10.11.2014 nicht zu berücksichtigen war. So stellte das Landgericht fest, dass die Kündigung vom 10.11.2014 ein neuer eigenständiger Klagegrund sei, da sie ausdrücklich auf eine Veränderung der Bedürfnisse der Kläger gestützt war, die nunmehr ihren Wohnsitz ganz nach Berlin verlegen wollten. Allein die Nachreichung erheblicher Angriffsmittel rechtfertige die Wiedereröffnung nicht. Weiter sei die neue Kündigung eine Klageänderung nach § 263 ZPO, die deshalb nicht zuzulassen war, da die Voraussetzungen des § 533 Nr. 2 ZPO nicht vorgelegen haben. Entscheidend war hier für das Gericht, dass es auf die in der neuen Kündigung vorgetragenen tatsächlichen Umstände für die Beurteilung der Kündigung vom 30.11.2012 nicht angekommen wäre.
- C. Kontext der Entscheidung
- Das die Kündigung hier rechtsmissbräuchlich gewesen ist, steht außer Frage. Interessanter sind hier die prozessualen Aspekte. Die neu ausgesprochene Kündigung war hier für das Landgericht ohne Belang.Gemäß § 296a ZPO können nach Schluss der mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, Angriffs- und Verteidigungsmittel nicht mehr vorgebracht werden. Die in dem am Schluss der mündlichen Verhandlung ausgesprochenen Kündigung vom 10.11.2014 ist aber kein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, auf die das Urteil ergeht. Klagegegenstand ist die erste Kündigung vom 23.11.2012. Insofern ist dem LG Berlin zuzugeben, dass es sich allenfalls um eine Klageänderung handeln würde. Eine Klageänderung ist gemäß § 533 ZPO jedoch nur dann zulässig, wenn der Gegner einwilligt oder das Landgericht dies für sachdienlich hält und diese auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 zugrunde zu legen hätte. Die Zulassung ist also praktisch nur dann statthaft, wenn es sich um denselben Streitgegenstand handelt. Dies dürfte hier zu verneinen sei. Denn die neuerliche Kündigung und die entsprechend vorgetragenen Gründe sind eben ein anderer Sachverhalt (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO ,71. Aufl. 2013, § 2 Rn. 4).
- D. Auswirkungen für die Praxis
- Bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs ist immer zu prüfen, ob diese rechtsmissbräuchlich ist, insbesondere ob noch eine andere vergleichbare Wohnung zur Anmietung frei ist (vgl. BGH, Urt. v. 09.07.2003 – VIII ZR 276/02).. Hat der Vermieter keine freie Wohnung angeboten, die ihm zur Verfügung steht, so reicht eine erneute Kündigung im Prozess nicht aus, um diesen einmal begangenen „Fehler“ zu beheben. Vielmehr müsste dann die Klage zurückgenommen werden, um dann erneut auf Räumung und Herausgabe zu klagen, sofern der Mieter sich nicht auf die Kündigung eingelassen hat und die Wohnung räumt und herausgibt.