Nachfolgend ein Beitrag vom 4.10.2018 von Flatow, jurisPR-MietR 20/2018 Anm. 2
Orientierungssatz zur Anmerkung
Die ordentliche Kündigung bleibt wirksam, auch wenn das Jobcenter die Nachzahlung der Miete anbietet. Das Beharren auf der Kündigung ist nicht treuwidrig.
A. Problemstellung
Der Fall ist Alltag. Der Mieter gerät in eine finanzielle Notlage. Er wird wegen eines entsprechenden Mietrückstands fristgerecht gekündigt. Für diese ordentliche Kündigung gibt es nach der Rechtsprechung des BGH keine Heilungsmöglichkeit durch Nachzahlung. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ist nicht entsprechend anzuwenden (BGH, Urt. v. 16.02.2005 – VIII ZR 6/04 – WuM 2005, 250, 251; BGH, Urt. v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12 – WuM 2012, 682, 684 Rn. 22 ff.). Die öffentlichen Stellen suchen nach Wegen, dem Mieter doch noch seine Wohnung zu erhalten. Über einen solchen Versuch hatte das LG Berlin zu befinden.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Mieter bezog Leistungen des Jobcenters. Als er eine angebotene Tätigkeit ablehnte, um sich selbstständig zu machen, wurden die Leistungen eingestellt. Der Mieter geriet daraufhin mit Mietzahlungen in Verzug, der Vermieter erklärte die ordentliche Kündigung des Mietvertrags. Ohne dass die Entscheidung das näher erörtert, reichte der Rückstand offenkundig aus, um die Kündigung zu rechtfertigen. Jetzt bot das Jobcenter dem Vermieter an, die Mietrückstände auszugleichen, wenn der Vermieter umgekehrt bereit sei, das Mietverhältnis fortzusetzen. Dieses Angebot schlug der Vermieter aus. Beim Amtsgericht erwirkte er ein Räumungsurteil.
Das LG Berlin hat mit Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Der Mieter habe nicht darlegen können, dass er den Mietrückstand mangels Verschulden nicht zu vertreten habe (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB). Umgekehrt treffe ihn ein Verschulden. Er habe in Kenntnis der damit verbundenen Leistungseinstellung eine Selbstständigkeit angestrebt, ohne sich darum zu bemühen, die benötigten finanziellen Mittel für die Wohnung zu erlangen. Weder sei er gegen den Aufhebungsbescheid vorgegangen, noch habe er auf anderem Wege versucht, die Mietzahlungen abzusichern.
Das Verschulden erscheine auch nicht deswegen als weniger schwerwiegend, weil das Jobcenter eine Nachzahlung angeboten habe. Allein die Tilgung der Beträge könne dafür nicht ausreichen. Andernfalls gäbe es, so die Entscheidung, im Ergebnis doch eine Abwendung der ordentlichen Kündigung allein durch Nachzahlung. Dies würde dem Ausnahmecharakter des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB widersprechen. Nur die fristlose Kündigung könne abgewendet werden, auch mittelbar dürfe diese Vorschrift nicht auf die ordentliche Kündigung angewandt werden (Verweis auf BGH, Urt. v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12 – WuM 2012, 682; BGH, Urt. v. 01.07.2015 – VIII ZR 278/13 – WuM 2015, 555, 558; BGH, Beschl. v. 20.07.2016 – VIII ZR 238/15 – WuM 2016, 682, 683). Ebenso sei das Festhalten an der Kündigung nicht nach § 242 BGB treuwidrig.
C. Kontext der Entscheidung
Es entspricht der durchgängigen Rechtsprechung des BGH, die Abwendung der ordentlichen Kündigung durch Nachzahlung nicht zuzulassen, die Entscheidungen zitiert das LG Berlin auch (ebenso bereits BGH, Urt. v. 16.02.2005 – VIII ZR 6/04 – WuM 2005, 250; BGH, Urt. v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06 – WuM 2007, 24; a.A. im Schrifttum Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 569 BGB Rn. 65; Sternel, Mietrecht Aktuell, 4. Aufl. 2009, Rn. XI 28). Vom BGH stammt auch der Ansatz, dass nachträgliche Zahlungen das Verschulden des Mieters rückwirkend in einem „milderen Licht“ erscheinen lassen könnten. Das lasse ggf. den Kündigungsgrund entfallen (so BGH, Urt. v. 16.02.2005 – VIII ZR 6/04 – WuM 2005, 250) oder es lasse die Berufung auf die Kündigung jedenfalls als treuwidrig erscheinen (so BGH, Urt. v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12 – WuM 2012, 682, 684). Zu Recht verweist das Landgericht Berlin aber darauf, dass es hier keinen Automatismus gibt, sondern dass die Nachzahlung nur ein Punkt im Rahmen einer Gesamtabwägung sein kann. Ein Automatismus würde tatsächlich die Analogie zu § 596 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch die Hintertür einführen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung zeigt das Dilemma der Jobcenter und Gemeinden auf. Die Heilungsmöglichkeit durch Nachzahlung oder Befriedigungserklärung, mit der der Gesetzgeber Obdachlosigkeit vermeiden wollte, geht ins Leere. Mit der Fortsetzung des Mietverhältnisses für eine Kündigungsfrist von meist nur drei Monaten ist in der Praxis nichts gewonnen, diese Zeit vergeht ohnehin bis zum Räumungsurteil. Es bleibt dabei, dass vor allem in der Kombination von fristloser und fristgerechter Kündigung das Mietverhältnis letztlich gegen den Willen des Vermieters nicht fortgesetzt werden kann. Dem Mieteranwalt bleibt nur, eine Verhandlungslösung zu suchen.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Das Landgericht bejaht ein Verschulden des Mieters, weil er mit dem Versuch seiner Selbstständigkeit die Einstellung der Transferleistungen herbeigeführt habe, ohne zugleich ausreichende Mittelvorsorge für die Mietzahlung zu treffen. Das liegt ebenfalls auf der Linie der Rechtsprechung. Es erscheint bei genauer Betrachtung aber doch problematisch. Verschulden verlangt im Grundsatz, dass dem Schuldner normgemäßes Verhalten überhaupt möglich wäre (vgl. BGH, Urt. v. 21.01.1997 – VI ZR 338/95 – NJW 1997, 1237 unter II.2.). Dem Mieter ist aber typischerweise die Zahlung unmöglich, ihm fehlen die Mittel zur Zahlung. Zu einem Verschuldensvorwurf an der Nichtzahlung der Miete kann die Rechtsprechung nur gelangen, indem sie den Vorwurf nach vorne verlagert und damit eine „Mittelvorsorgepflicht“ des Mieters annimmt. Dem entsprechen Formulierungen wie, nur die „unerwartete“ oder „unvorhersehbare“ Notlage entlaste den Mieter (vgl. etwa BGH, Urt. v. 16.02.2005 – VIII ZR 6/04 – NZM 2005, 334, 335 unter II.2.d.cc; BGH, Beschl. v. 20.07.2016 – VIII ZR 238/15 Rn. 14 – WuM 2016, 682, 684; KG, Urt. v. 24.07.2008 – 8 U 26/08 Rn. 20 – DWW 2008, 379, 380; LG Hamburg, Urt. v. 12.07.2007 – 334 S 97/06 Rn. 5 – WuM 2007, 709; LG Düsseldorf, Urt. v. 02.10.2015 – 5 S 26/15 Rn. 23; im Schrifttum: Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl. 2017, § 573 BGB Rn. 30; Häublein in: MünchKomm BGB, 7. Aufl. 2016, § 573 BGB Rn. 63). Ob eine schuldrechtliche Zahlungspflicht immer auch eine „Mittelvorsorgepflicht“ begründet, deren Verletzung ein Verschulden begründet, erscheint zweifelhaft. Hier gibt es ein abgeschlossenes System. Der Schuldner hat die Nichtzahlung zu vertreten – Geld hat man zu haben. Das Kriterium des Verschuldens – wie konnte es soweit kommen? – passt nicht.
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