Nachfolgend ein Beitrag vom 16.09.2016 von Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 16/2016 Anm. 2
Leitsatz
§ 314 Abs. 3 BGB findet auf die fristlose Kündigung eines (Wohnraum-)Mietverhältnisses nach §§ 543, 569 BGB keine Anwendung.
Orientierungssatz zur Anmerkung
In der Wohnraummiete ist die Kündigung aus wichtigem Grund auch noch längere Zeit nach Entstehung des Kündigungsgrundes zulässig.
A. Problemstellung
Die Kündigung aus wichtigem Grund ist im BGB an verschiedenen Stellen geregelt. Dabei enthalten die Regelungen unterschiedliche Bestimmungen über die zeitliche Geltendmachung des Kündigungsrechts. So bestimmte § 626 BGB schon immer, dass die Kündigung eines Dienst- und vor allem eines Arbeitsvertrages aus wichtigen Grund innerhalb von zwei Wochen zu erfolgen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Zum 01.09.2001 hat der Gesetzgeber im Rahmen der letzten großen Mietrechtsreform (Artz, NJW 2015, 1573) bekanntlich das Kündigungsrecht im Mietrecht neu geordnet und ebenfalls einen eigenen Kündigungstatbestand aus wichtigem Grund eingeführt. In diesem § 543 BGB, aber auch in der wohnraummietrechtlichen Ergänzungsvorschrift des § 569 BGB gibt es keine Frist für die Ausübung des Kündigungsrechts. Bekanntlich ist vier Monate später, nämlich zum 01.01.2002, die Schuldrechtsreform in Kraft getreten. Mit ihr wurde im allgemeinen Schuldrecht in § 314 BGB ebenfalls eine Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund eingeführt. Die Vorschrift unterscheidet sich in zwei Punkten von der damals neuen Vorschrift des § 543 BGB. In § 543 BGB ist zunächst als Abwägungsgrund auch das Verschulden angesprochen, worauf im Gesetzgebungsverfahren vor allem der Deutsche Mieterbund großen Wert gelegt hatte. Es handelt sich nur um ein Abwägungskriterium und nicht um ein Tatbestandsmerkmal (BGH, Urt. v. 29.06.2016 – VIII ZR 173/15 – WuM 2016, 491). In § 314 BGB fehlt jegliche ausdrückliche Erwähnung eines eventuellen Verschuldens. Außerdem enthält § 314 Abs. 3 BGB anders als § 543 BGB eine Frist zur Geltendmachung des Kündigungsgrundes. Der Berechtigte kann nach der allgemeinen Vorschrift nämlich nur innerhalb einer angemessenen Frist kündigen, nachdem er vom Kündigungsgrund Kenntnis erlangt hat. Unklar war seither, ob diese Frist im allgemeinen Teil auch im besonderen Teil, also im Mietrecht gilt oder nicht. Mit dieser Frage beschäftigt sich die vorliegende Entscheidung.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Es ging um die Kündigung einer ehemaligen Küsterin einer Düsseldorfer Kirchengemeinde, die von dieser seit 2006 eine Wohnung für zuletzt monatlich 619,50 Euro zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung gemietet hatte. Die Mieterin hatte die Mieten für die Monate Februar und April 2013 nicht gezahlt, was die Vermieterin im August 2013 anmahnte. Die Mieterin teilte daraufhin mit, sie habe diese Mieten leider nicht überwiesen und entschuldige sich dafür. Die Mieten zahlte sie aber in der Folgezeit nicht nach. Daraufhin erklärte die Vermieterin mit Schreiben vom 15.11.2013 die fristlose Kündigung. Das Amtsgericht hat die Mieterin zur Räumung verurteilt, das Landgericht hat auf die Berufung die Klage abgewiesen.
Der BGH hat das amtsgerichtliche Urteil wiederhergestellt und die Mieterin zur Räumung verurteilt. Dabei hat der Senat sowohl die generelle Anwendbarkeit des § 314 Abs. 3 BGB in der Wohnraummiete verneint wie auch das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm im konkreten Fall.
Nach Ansicht des Senats spricht schon eine Wortlautauslegung gegen die Anwendung des § 314 Abs. 3 BGB im Mietrecht. § 543 BGB, der – sei es als Generalklausel (Abs. 1), sei es als Regeltatbestände (Abs. 2) – die Voraussetzungen für die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses regele, bestimme in seinen weiteren Absätzen im Einzelnen die Modalitäten der Kündigung. Eine zeitliche Beschränkung für den Ausspruch der Kündigung schreibe diese Bestimmung gerade nicht vor. Ebenso wenig enthalte sie einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB. Auch § 569 BGB, der für Wohnraummietverhältnisse die Vorschrift des § 543 BGB um weitere Tatbestände und Kündigungsmodalitäten ergänzt, sehe weder eine Zeitspanne, innerhalb derer die fristlose Kündigung auszusprechen ist, noch einen Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB vor.
Der BGH sieht sich in dieser Auslegung auch bestätigt durch den sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Zweck des Gesetzes. Aus den Gesetzesmaterialien zu den §§ 543, 569 BGB und zu § 314 BGB ergäbe sich eindeutig, dass die Vorschriften über die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses als abschließende spezielle Regelung konzipiert seien und von der Einfügung einer Bestimmung, wonach die Kündigung in „angemessener Frist“ zu erfolgen habe, bewusst abgesehen worden sei. Vielmehr habe § 543 BGB die bis dahin erfolgte Rechtsprechung kodifizieren und das zuvor aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen hergeleitete fristlose Kündigungsrecht aus wichtigem Grund sowie die über mehrere Einzelvorschriften verstreuten speziellen Kündigungsgründe ablösen wollen. Eine inhaltliche Änderung sollte damit nicht verbunden sein. Es gab damals aber keine dem § 314 Abs. 3 BGB entsprechende Vorschrift oder eine entsprechende Rechtsprechung. Dementsprechend habe der Gesetzgeber der Mietrechtsreform bewusst davon abgesehen, eine Frist zur Ausübung des Kündigungsrechts einzuführen.
Hieran habe die Einführung des § 314 BGB durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nichts geändert. Der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die bestehenden Kündigungsrechte aus wichtigem Grund als leges speciales Vorrang vor § 314 BGB haben sollten. Ein Verweis auf § 314 Abs. 3 BGB sei damals aber in § 543 BGB gerade nicht eingeführt worden. Der Senat kommt damit zu dem Ergebnis, dass die fristlose Kündigung eines Mietverhältnisses in den §§ 543, 569 BGB abschließend geregelt sei und eine Anwendung des § 314 Abs. 3 BGB ausgeschlossen sei.
Der Senat verneint ferner einen Ausschluss der Kündigung gem. § 242 BGB im vorliegenden Fall. Eine Verwirkung des Kündigungsrechts scheitere bereits am fehlenden Umstandsmoment. Allein die Tatsache, dass Vermieterin eine Kirchengemeinde sei und die Mieterin früher als Küsterin dort angestellt war, reiche nicht aus.
C. Kontext der Entscheidung
Damit hat der Senat die seit vielen Jahren offene Frage des Verhältnisses der allgemeinen Vorschrift zu der speziellen mietrechtlichen Vorschrift entschieden, obwohl dies nach seiner eigenen Einleitung gar nicht zwingend gewesen wäre, da das siebenmonatige Abwarten zwischen Entstehung des Kündigungsgrundes und seiner Ausübung noch gar nicht unangemessen i.S.d. § 314 Abs. 3 BGB gewesen sei. Bisher hatte der Senat in solchen Fällen ausdrücklich offengelassen, ob § 314 Abs. 3 BGB in der Wohnraummiete anwendbar ist (BGH, Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 281/13; BGH, Urt. v. 11.03.2009 – VIII ZR 115/08; BGH, Beschl. v. 13.04.2010 – VIII ZR 206/09). Der XII. Zivilsenat wurde bisher so verstanden, als wenn er § 314 Abs. 3 BGB auf eine Kündigung wegen Nichtzahlung der Kaution anwenden wollte (BGH, Urt. v. 21.03.2007 – XII ZR 36/05). Der Senat hatte in dieser Entscheidung die Voraussetzungen des § 314 Abs. 3 BGB geprüft und verneint, ohne sich mit der Anwendbarkeit der Norm näher zu beschäftigen. Etwas weiter war der Senat für Landwirtschaftssachen gegangen (BGH, Urt. v. 23.04.2010 – LwZR 20/09). Nach seiner Meinung hat die Erklärung der außerordentlichen Kündigung eines Landpachtverhältnisses innerhalb einer angemessenen Frist nach dem Eintritt des Kündigungsgrundes und dessen Kenntnis bei dem Kündigungsberechtigten dem anderen Teil zuzugehen. Der Senat hat aber ausdrücklich offengelassen, ob er dies aus allgemeinen Grundsätzen oder aus § 314 Abs. 3 BGB herleiten will.
D. Auswirkungen für die Praxis
Zumindest für die Wohnraummiete ist damit die Unsicherheit beseitigt. Die andere Auffassung führte dazu, dass ein für die Mieter gerade günstiges Abwarten der Vermieter unterbleiben musste, weil der Vermieter gehalten gewesen wäre, zur Vermeidung eigener Nachteile, frühestmöglich eine fristlose Kündigung auszusprechen. Die neue Auffassung birgt aber die Gefahr für die Mieter, dass jetzt auch „Altsünden“ wieder aufs Tableau kommen können. Die Grenze ist wohl nur noch der Verwirkungstatbestand.
Interessant bleibt die Frage, ob der XII. Zivilsenat sich der Auffassung des VIII. Zivilsenats anschließt oder für die Gewerberaummiete eine andere Meinung vertritt.