Nachfolgend ein Beitrag vom 19.5.2016 von Lepczyk, jurisPR-MietR 10/2016 Anm. 1

Leitsätze

1. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB kommt nur zur Anwendung, sofern nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben und zumindest zwei Auslegungsergebnisse rechtlich vertretbar sind (Bestätigung von BGH, Urt. v. 05.05.2010 – III ZR 209/09 – BGHZ 185, 310 Rn. 14 m.w.N.; BGH, Urt. v. 09.05.2012 – VIII ZR 327/11 – NJW 2012, 2270 Rn. 28 m.w.N.; BGH, Urt. v. 03.12.2014 – VIII ZR 224/13 – WuM 2015, 80 Rn. 16). Hierbei bleiben Verständnismöglichkeiten unberücksichtigt, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend sind und für die an solchen Geschäften typischerweise Beteiligten nicht ernsthaft in Betracht kommen (Bestätigung von BGH, Urt. v. 05.05.2010 – III ZR 209/09 – a.a.O. m.w.N.; BGH, Urt. v. 09.05.2012 – VIII ZR 327/11 – a.a.O.; BGH, Urt. v. 18.07.2012 – VIII ZR 337/11 – BGHZ 194, 121 Rn. 16).
2. Einer unter der Geltung des § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 MHG von einem Vermieter in einem Wohnraummietvertrag gestellten Formularklausel, die bestimmt: „Spätestens am 30. Juni eines jeden Jahres ist über die vorangegangene Heizperiode abzurechnen. […]“,
ist keine Ausschlusswirkung dahin beizumessen, dass der Vermieter mit Ablauf dieser Frist gehindert ist, Heizkostennachforderungen geltend zu machen.

A. Problemstellung

Vertragliche Abrechnungsfristen für Betriebskosten sind immer wieder Gegenstand mietrechtlicher Streitigkeiten. Dies liegt oftmals daran, dass die Parteien nicht eindeutig geregelt haben, ob die vereinbarte Frist lediglich die Verpflichtung des Vermieters begründet, bis zu einem bestimmten Termin über die Betriebskosten abzurechnen, oder ob nach Ablauf dieser Frist Nachforderungen ausgeschlossen sein sollen. Der BGH hatte nunmehr darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen einer Abrechnungsfrist in einem Wohnungsmietvertrag eine Ausschlusswirkung für Nachforderungen beizumessen ist.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die beklagten Mieter haben mit Mietvertrag vom 11.11.1980 eine Wohnung in Berlin gemietet. Der Mietvertrag sieht vor, dass für die Heizkosten monatliche Vorauszahlungen zu leisten sind. Ferner enthält § 5.6 des Mietvertrages folgende Formularklausel zur Heizkostenabrechnung: „Spätestens am 30. Juni eines jeden Jahres ist über die vorangegangene Heizperiode abzurechnen.“ Die Heizperiode dauert laut Mietvertrag jeweils vom 1. Oktober eines Jahres bis zum 30. April des Folgejahres. Am 30.10.2012 übersandte der Vermieter dem Mieter die Abrechnung für die Heizkosten 2011/2012 und die Wasserkosten 2011. Zudem machte er eine Nachforderung von 428,39 Euro geltend, hiervon entfielen 196,12 Euro auf Heizkostenrückstände. Da die Mieter die Nachforderung ablehnten, machte der Vermieter diese gerichtlich geltend. Das Amtsgericht wies die Klage ab.
Die Berufung richtete sich gegen die Abweisung der Klage hinsichtlich der Heizkostennachforderung. Jedoch lehnte auch das Landgericht den geltend gemachten Anspruch ab, da durch die Überschreitung der Abrechnungsfrist Nachforderungen ausgeschlossen seien. Zwar sei nach Ansicht des Landgerichts § 5.6 des Mietvertrages auslegungsbedürftig, da unklar sei, ob diese Regelung Nachforderungen ausschließe oder sie nur die Verpflichtung des Vermieters begründe, bis zum 30.06. abzurechnen. Jedoch gingen bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten Unklarheiten bei der Auslegung einer Klausel gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders, sodass § 5.6 des Mietvertrages als Ausschlussfrist zu verstehen sei.
Der BGH hat der Revision stattgegeben.
Das Landgericht habe bei seiner Deutung von § 5.6 des Mietvertrages die geltenden Auslegungsregeln nicht hinreichend beachtet. Allgemeine Geschäftsbedingungen seien nach dem Verständnis eines durchschnittlichen, rechtlich nicht vorgebildeten Vertragspartners des Verwenders des Formularvertrages auszulegen. Erst wenn nach Ausschöpfung aller anerkannten Auslegungsmethoden immer noch Zweifel blieben und zumindest zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar seien, komme die sich zulasten des Klauselverwenders auswirkende Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zum Tragen. Die Anwendung des vorgenannten Grundsatzes führe jedoch dazu, dass § 5.6 des Mietvertrages keine Ausschlusswirkung für die Heizkostennachforderungen begründe.
Bereits der Wortlaut der Klausel spreche dafür, dass das Nachforderungsverlangen des Vermieters nicht ausgeschlossen sein soll, wenn er die Abrechnungsfrist nicht wahrt. Die Formulierung „spätestens bis zum 30. Juni“ bringe lediglich zum Ausdruck, dass es sich hierbei um eine Höchstfrist und nicht um eine Ausschlussfrist handele.
Weiterhin könne § 566 Abs. 3 BGB (vormals § 4 Abs. 1 MGH) für die Auslegung herangezogen werden. Zwar ordne diese Vorschrift eine jährliche Abrechnung über die Betriebskosten an, allerdings sei darin keine Ausschlussfrist zu sehen, jedoch sei erst durch die im Jahr 2001 eingefügte Regelung in § 566 Abs. 3 Satz 3 BGB ausdrücklich eine Ausschlusswirkung begründet worden. Hierdurch werde deutlich, dass durch die Überschreitung einer Abrechnungsfrist Nachforderungen grundsätzlich nicht ausgeschlossen sein sollen. Schon vor diesem Hintergrund verbiete es sich aus Sicht eines redlichen und verständigen Vertragspartners, der vereinbarten Abrechnungsfrist eine Ausschlusswirkung beizumessen.
Weiterhin seien bei der gebotenen objektiven Auslegung einer Klausel die Interessen beider Parteien zu berücksichtigen. Die auf zwei Monate verkürzte Abrechnungsfrist stelle eine deutliche Benachteiligung des Vermieters gegenüber der zwölfmonatigen Frist aus § 556 Abs. 3 Satz 2 BGB dar, die gemäß Art. 229 § 3 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 9 EGBGB auch auf den streitgegenständlichen Mietvertrag aus dem Jahr 1980 anwendbar ist. Wenn man § 5.6 des Mietvertrages dahingehend auslegt, dass der Vermieter bei Überschreitung der Abrechnungsfrist mit Nachforderungen abgeschnitten sein soll, würde dies zu einer einseitigen, die Belange des Vermieters in erheblichem Maße außer Acht lassenden Betrachtung führen. Ein redlicher Mieter würde daher § 5.6 des Mietvertrages nicht als Ausschlussfrist verstehen. Vielmehr könne bei objektiver Betrachtung eine Ausschlusswirkung nur angenommen werden, wenn die verspätete Abrechnung ausdrücklich mit einer Sanktion des Nachforderungsausschlusses bewehrt sei.

C. Kontext der Entscheidung

Das Urteil des BGH liegt auf einer Linie mit seiner bisherigen, im Leitsatz zitierten und dogmatisch überzeugenden Rechtsprechung. Gemäß § 305c Abs. 2 BGB gehen Zweifel bei der Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen zulasten des Verwenders. Eine solche verwenderfeindliche Anwendung setzt jedoch zunächst voraus, dass bei Anwendung allgemein anerkannter Auslegungskriterien überhaupt mehrere Auslegungsmöglichkeiten für eine Klausel bestehen. Im vorliegenden Fall ist bei objektiver Betrachtung von § 5.6 des Mietvertrages nur eine Auslegung möglich, nämlich die als Abrechnungsfrist ohne Ausschlusswirkung.

D. Auswirkungen für die Praxis

Der BGH formuliert strenge Anforderungen an die Vereinbarung einer Ausschlusswirkung von Abrechnungsfristen. Sofern in einem Wohnraummietvertrag die Jahresfrist des § 566 Abs. 3 BGB verkürzt wird, ist der Vermieter bei Überschreitung dieser kürzeren Abrechnungsfrist nur dann mit Nachforderungen für Betriebskosten ausgeschlossen, wenn dies ausdrücklich im Mietvertrag vereinbart wurde. Dies ist bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen. Auch bei Gewerberaummietverträgen kann eine Ausschlusswirkung von Abrechnungsfristen nur bei einer entsprechenden ausdrücklichen Vereinbarung angenommen werden.