Nachfolgend ein Beitrag vom 19.5.2016 von Jahreis, jurisPR-MietR 10/2016 Anm. 2

Leitsätze

1. Alle Mitbewohner einer Wohngemeinschaft oder eines Wohnheims üben das Hausrecht gleichrangig aus, weshalb jeder Mitbewohner im Regelfall alleine darüber entscheiden kann, wem er den Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen gestattet.
2. Als Grenze der individuellen Ausübung des Hausrechts ist zu beachten, ob der Aufenthalt des Dritten den Mitbewohnern zumutbar ist.
3. Die Prüfung der Gemeinschaftsräume einer Seniorenwohngemeinschaft durch die Aufsichtsbehörde entspricht dem sozialgesetzlichen Leitbild und liegt regelmäßig im objektiven Interesse der Bewohner. Der Aufsichtsbehörde den Zutritt zu versagen, ist dann als willkürliche Beschränkung des Hausrechts der Mitbewohner treu- und rechtswidrig.

A. Problemstellung

Wem steht das Hausrecht in einer betreuten Wohngemeinschaft zu und kann dieses gegenüber der Heimaufsicht ausgeübt werden?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Betroffene ist Geschäftsführerin eines Pflegedienstes, der eine betreute Wohngemeinschaft betreibt. Bei einer Kontrolle der Pflegeeinrichtung durch die Heimaufsicht verweigerte die Betroffene der Heimaufsichtsbehörde den Zutritt zu den Räumlichkeiten der Pflegeeinrichtung mit der Begründung, dass eine der 11 dort lebenden pflegebedürftigen Personen von ihrem Hausrecht Gebrauch mache und der Heimaufsicht den Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen untersage. Die zuständige Behörde verhängte gegen die Betroffene daraufhin ein Bußgeld gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 WTG (Berlin). Der von der Betroffenen beim AG Berlin-Tiergarten gegen den Bußgeldbescheid erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg. Gegen die Entscheidung des AG Berlin-Tiergarten erhob die Betroffene Rechtsbeschwerde.
Das KG Berlin hat die Rechtsbeschwerde verworfen.
Das Amtsgericht sei rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Betroffene den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 31 Abs. 2 Nr 2 WTG Bln objektiv und rechtswidrig verwirklicht habe. Als Geschäftsführerin eines als GmbH gestalteten Pflegedienstes (Leistungserbringer i.S.d. § 3 WTG Bln) habe sie der Heimaufsichtsbehörde nämlich nicht den Zutritt zu der betreuten Wohngemeinschaft untersagen und damit die gesetzlich vorgesehene und durch eine Anzeige veranlasste Prüfung vereiteln dürfen.
Zur Beurteilung, wer das Hausrecht ausüben könne, sei eine Rechtsprechung heranzuziehen, die auf das Reichsgericht zurückgehe (RG, Urt. v. 10.12.1879 – 562/79 – RGSt 1, 121). Nach dieser Rechtsprechung stehe bei Wohngemeinschaften jedem Mitbewohner das Hausrecht alleine zu, wobei jeder Mitbewohner darüber entscheiden könne, wem er den Zutritt zu den gemeinsamen Räumlichkeiten erlaube. Diese Rechtsprechung sei bereits in den 1960er Jahren vom BGH zunächst bestätigt und dahingehend erweitert worden, dass sogar Minderjährige unabhängig von einer Bevollmächtigung zur Wahrung des Hausrechts in einer Familienwohnung berechtigt seien (BGH, Urt. v. 14.12.1966 – 2 StR – 2 StR 346/66).

C. Kontext der Entscheidung

Die Rechtsprechung zur Ausübung des Hausrechts bei Wohngemeinschaften wurde jüngst auch durch das OLG Hamm konkretisiert (OLG Hamm, Urt. v. 22.01.2016 – 11 U 67/15). Nach dieser Rechtsprechung ist hinsichtlich des Hausrechts in Wohngemeinschaften zu differenzieren, ob der Zutritt zu Räumen, deren Benutzung einem einzelnen Bewohner zusteht, oder zu Gemeinschaftsräumen verweigert wird. Geht es um den Zutritt zu Räumlichkeiten, deren Benutzung einem bestimmten Mitbewohner vorbehalten ist (Bewohnerzimmer), so steht grundsätzlich dem Bewohner, dem der Raum zur Benutzung zugewiesen ist, das Hausrecht zur alleinigen Ausübung zu. Bei Gemeinschaftsräumen kann grundsätzlich jeder Mitbewohner entscheiden, wem er Zutritt gewährt, wobei jeder einzelne Mitbewohner sich gegen die Gewährung des Zutritts wenden kann, wenn der Aufenthalt des Dritten in den Gemeinschaftsräumen für ihn unzumutbar ist, wobei in jedem Einzelfall eine Interessenabwägung vorzunehmen ist.
Mit der speziellen Frage des Hausrechts bei Überprüfung eines Pflegeheims durch die Aufsichtsbehörde hatte sich vor einigen Jahren bereits das VG Stuttgart zu beschäftigen (VG Stuttgart, Urt. v. 25.01.2002 – 10 K 978/01). Allerdings verwendete das VG Stuttgart in seinem Urteil eine weite Formulierung, nach der die Heimaufsicht berechtigt sei, Grundstücke und Räume zu betreten, „soweit diese nicht einem Hausrecht der Bewohner unterliegen“.
Durch die Entscheidung des KG Berlin wurde diese Rechtsprechung nun inhaltlich präzisiert, sodass für Pflegeeinrichtungen nunmehr die gleichen Grundsätze wie für andere Wohngemeinschaften gelten und auch hier zwischen Gemeinschaftsräumen und Bewohnerzimmern zu unterscheiden ist. Dass das KG Berlin es als missbräuchlich erachtet, dass ein Mitbewohner einem Vertreter der Heimaufsicht den Zutritt zu den Gemeinschaftsräumen verweigert, dürfte im Einklang mit der Rechtsprechung des VG Stuttgart stehen. Das VG Stuttgart führte aus, mit einem (unangemeldeten) Besuch der Heimaufsicht werde der Schutz des Wohles der Heimbewohner verfolgt.
Aus diesem Grund dürfte ein von einem einzelnen Bewohner gegenüber der Heimaufsicht ausgesprochenes Betretungsverbot bei einer Interessenabwägung wohl regelmäßig als missbräuchlich anzusehen sein, weil die restlichen Heimbewohner gerade wegen des mit der Überprüfung verfolgten Zwecks ein berechtigtes Interesse an einer Betretung der Pflegeeinrichtung durch die Heimaufsicht haben.

D. Auswirkungen für die Praxis

Unangemeldete Überprüfungen von Pflegeeinrichtungen sind für deren Betreiber mitunter unangenehm, weil hierdurch oft gravierende Mängel im Betriebsablauf aufgedeckt werden können, die sogar zur Schließung der Einrichtung führen können. Da die Betreiber selbst aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften dem Besuch der Heimaufsicht kaum etwas entgegensetzen können, konnte höchstens die Ausübung des Hausrechts durch einzelne Bewohner bisher offenbar als letztes probates Mittel gesehen werden, den Besuch der Heimaufsicht zu vereiteln.
Das KG Berlin hat nun aufgezeigt, dass einer derartigen Praxis schon allein wegen des Wohles der Bewohner Einhalt zu gebieten ist.