Nachfolgend ein Beitrag vom 29.11.2018 von Beyer, jurisPR-MietR 24/2018 Anm. 3

Leitsätze

1. Durch § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB hat der Gesetzgeber die gesetzliche Fiktion geschaffen, dass im Falle einer rechtzeitigen Schonfristzahlung oder Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle die zuvor durch eine wirksam erklärte fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB) bewirkte Beendigung des Mietverhältnisses rückwirkend als nicht eingetreten gilt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB entfallen damit nicht nur für die Zukunft die durch die fristlose Kündigung ausgelösten Räumungs- und Herausgabeansprüche, sondern das Mietverhältnis ist als ununterbrochen fortstehend zu behandeln.
2. Ein Vermieter, der eine fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB) hilfsweise oder vorsorglich mit einer ordentlichen Kündigung (§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB) verknüpft, bringt bei der gebotenen Auslegung seiner Erklärungen zum Ausdruck, dass die ordentliche Kündigung in allen Fällen Wirkung entfalten soll, in denen die zunächst angestrebte sofortige Beendigung des Mietverhältnisses aufgrund einer – entweder schon bei Zugang des Kündigungsschreibens gegebenen oder nachträglich gemäß § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB (unverzügliche Aufrechnung durch den Mieter) oder gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (Schonfristzahlung oder behördliche Verpflichtung) rückwirkend eingetretenen – Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung fehlgeschlagen ist.
Orientierungssätze zur Anmerkung
1. Mit der Schonfristregelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB hat der Gesetzgeber die gesetzliche Fiktion geschaffen, dass das Mietverhältnis als ununterbrochen fortbestehend gilt.
2. Die doppelte Kündigung wegen Zahlungsverzugs ist dahin auszulegen, dass die hilfsweise, aber unbedingt erklärte ordentliche Kündigung dann ihre Wirkung entfalten soll, wenn die in erster Linie erklärte fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB oder § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB fehlgeschlagen ist.

A. Problemstellung

Die verbreitete Vermieter-Praxis, bei Zahlungsverzug des Mieters das Mietverhältnis „doppelt“ zu kündigen, also fristlos und zugleich sicherheitshalber auch ordentlich, ist entgegen dem ersten Anschein keine „Erfindung“ der mietrechtlichen Neuzeit. Die Frage, welche Folgen in einem solchen Fall die Tilgung eines Mietrückstandes hat, hat die Instanzrechtsprechung bereits vor mehr als 30 Jahren beschäftigt. Bei einer entsprechenden Recherche in juris stößt man auf einen Beschluss des LG Augsburg vom 24.02.1987 (4 T 670/87 – WuM 1987, 388). In dieser Entscheidung hatte das Landgericht – wie bereits zuvor das Amtsgericht – die damalige Vorschrift über die Wirkung einer Schonfristzahlung (§ 554 Abs. 2 Nr. 2 BGB in der bis zum 31.08.2001 geltenden Fassung – nahezu wortgleich mit § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) analog auf die ordentliche Kündigung gemäß § 564b Abs. 1 BGB (in der bis zum 31.08.2001 geltenden Fassung) angewandt. Zur Begründung hatte das Gericht ausgeführt, die Interessenlage des Vermieters sei in beiden Fällen gleich; wenn er hinsichtlich der rückständigen Miete befriedigt worden sei, habe er kein Interesse mehr an der Aufrechterhaltung der Kündigung. Im Übrigen müssten gesetzliche Schutzrechte, die dem Mieter bei einer fristlosen Kündigung zustünden, „erst recht“ bei der ordentlichen Kündigung gelten.
An die Augsburger Entscheidung und die damals wohl h.M. hat sich die 67. Zivilkammer des LG Berlin mit Urteil vom 28.11.2003 (65 S 172/03 Rn. 11 – Grundeigentum 2004, 237) angeschlossen und die Räumungsklage der Vermieterin abgewiesen. Das Landgericht hatte angenommen, es sei rechtsmissbräuchlich, wenn sich der Vermieter trotz der Schonfristzahlung auf die hilfsweise erklärte fristgemäße Kündigung berufen könne. Es sei auch nicht nachzuvollziehen, wenn der Mieter gegenüber einer ordentlichen Kündigung weniger geschützt sein solle als gegenüber einer fristlosen Kündigung. Zur höchstrichterlichen Klärung dieser umstrittenen Frage (zum damaligen Meinungsstand vgl. BGH, Urt. v. 16.02.2005 – VIII ZR 6/04 unter II 2 Rn. 12- NZM 2005, 334) hatte das LG Berlin die Revision zugelassen, über die der BGH mit dem genannten Urteil vom 16.02.2005 entschieden hatte.
Der BGH hatte das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das LG Berlin zurückverwiesen. In einer geradezu lehrbuchartigen Begründung hatte er nach den klassischen Auslegungskriterien des Wortlautes der Bestimmungen der §§ 543, 569 und 573 BGB, der Entstehungsgeschichte des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (historische Auslegung), der systematischen Stellung dieser Vorschrift im Gesetz und nach dem Sinn und Zweck der Regelung die Frage einer „weiten“ Anwendung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB verneint (a.a.O. unter II 2a) – d), juris-Rn. 13 ff.). Und schließlich hatte er klargestellt, dass bei einer „doppelten“ Kündigung die hilfsweise ordentliche Kündigung unbedingt erklärt ist und auch insoweit keine Bedenken gegen ihre Wirksamkeit bestehen (a.a.O. unter II 2e), juris-Rn. 21).
Zu dem Urteil vom 16.02.2005 hatte der BGH folgenden Leitsatz formuliert:
„Kündigt der Vermieter ein Wohnraummietverhältnis nach §§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a, 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB wegen Zahlungsverzugs des Mieters fristlos und hilfsweise auch fristgemäß, lässt der nachträgliche Ausgleich der Rückstände innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB zwar die fristlose Kündigung unwirksam werden, nicht dagegen auch ohne weiteres die fristgemäße Kündigung. Die nachträgliche Zahlung ist jedoch bei der Prüfung, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat (§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB), zu berücksichtigen.“
An dieser Rechtsprechung hat der BGH in der Folgezeit unverändert festgehalten (z.B. BGH, Urt. v. 14.07.2010 – VIII ZR 267/09 Rn. 24 – NJW 2010, 3020; BGH, Beschl. v. 06.10.2015 – VIII ZR 321/14 Rn. 4 – WuM 2016, 225).
In der mietrechtlichen Praxis gehörte es seitdem zum „Standard“ der anwaltlichen Beratung auf der Vermieterseite, bei Zahlungsverzug sowohl die fristlose als auch vorsorglich und hilfsweise die ordentliche Kündigung auszusprechen. Das LG Berlin hatte mit Urteil vom 13.10.2017 (66 S 90/17 – WuM 2017, 650; näher hierzu z.B. Beyer, Grundeigentum 2018, 174 und Häublein/Lehmann-Richter, ZMR 2018, 43) die doppelte Kündigung abermals für unwirksam erklärt, nun allerdings mit einer neuen, streng dogmatisch ausgerichteten Begründung.
Über die Revision der Vermieter hat der BGH mit dem Urteil vom 19.09.2018 entschieden.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Mieter hatte die Miete i.H.v. monatlich 250,15 Euro für die von ihm genutzte Einzimmerwohnung für die Monate Juni und Juli 2016 nicht gezahlt. Die Vermieter kündigten deshalb mit Schreiben vom 11.07.2016 das Mietverhältnis fristlos und daneben „rein vorsorglich und hilfsweise“ ordentlich zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Daraufhin überwies der Mieter am 19.07.2016 die rückständige Miete (500,30 Euro) vollständig und widersprach der Kündigung.
Das Amtsgericht hatte der Räumungsklage stattgegeben, das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, durch die vollständige Tilgung der Mietrückstände sei der Räumungsanspruch der Vermieter gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB erloschen und die daneben erklärte ordentliche Kündigung habe keine Wirkung entfaltet. Die fristlose Kündigung habe das Mietverhältnis „sofort“ beendet, die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei daher im maßgeblichen Zeitpunkt ihres Zugangs „ins Leere“ gegangen. Die Schonfristzahlung führe zwar zum Erlöschen des Räumungsanspruchs, mache aber die fristlose Kündigung und ihre Wirkung nicht rückwirkend ungeschehen. Die im Schrifttum teilweise vertretene Auffassung, zwischen dem Zugang der fristlosen Kündigung und dem Eingang der Zahlung bestehe aufgrund einer Rückwirkung der Schonfristzahlung ein „Schwebezustand“, widerspreche der Wirkung ausgeübter Gestaltungsrechte und lasse sich weder begründen noch in ihren Konsequenzen überzeugend handhaben.
Wie zu erwarten, ist der BGH dieser Auffassung nicht gefolgt.
Das Berufungsgericht habe den Inhalt der von den Vermietern ausgesprochenen ordentlichen Kündigung nicht hinreichend erfasst und zudem den Regelungsgehalt des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB grundlegend verkannt (Rn. 10).
1. Die sachgerechte Auslegung der Kündigungserklärung des Vermieters
Ausgangspunkt der eingehenden, systematisch und auch im Ergebnis überzeugenden Begründung des BGH ist das durch die sachgerechte Auslegung der Kündigungserklärung zu ermittelnde zweifache Ziel des Vermieters – zum einen die sofortige Beendigung des Mietverhältnisses durch die (vorrangige) fristlose Kündigung, zum anderen, dass die ordentliche Kündigung dann ihre Wirkung entfalten soll, wenn die sofortige Beendigung infolge der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung fehlgeschlagen ist (Rn. 16). Insoweit ist nicht allein auf den Wortlaut einer einseitigen, empfangsbedürftigen Willenserklärung abzustellen, sondern darauf, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der Verkehrssitte von seinem Empfängerhorizont aus verstehen musste (Rn. 17). Nach diesem Maßstab erklärt der Vermieter mit der doppelten Kündigung, dass er auf die Beendigung des Mietverhältnisses „wenigstens mit Ablauf der geltenden Kündigungsfrist“ nicht verzichten will, wenn die vorrangig gewollte fristlose Kündigung nicht durchgreift. Dieser Wille des Vermieters ist „auch aus objektiver Mietersicht“ erkennbar.
2. Die gesetzliche Fiktion der Rückwirkung der Schonfristzahlung
Eine solche zusammenfassende, vernünftige und lebensnahe Betrachtung hat das Berufungsgericht außer Acht gelassen und den einheitlichen natürlichen Lebenssachverhalt (Zahlungsverzug, Kündigung, nachträgliche Befriedigung des Vermieters) künstlich in einzelne Bestandteile aufgespaltet. Zwar entfaltet die Kündigung als einseitiges Gestaltungsrecht ihre Wirkung mit dem Zugang an den Empfänger, hier also an den Mieter. Dem Gesetzgeber – und darin liegt wohl die zentrale Aussage der Entscheidungsbegründung – bleibt es im Rahmen seines Gestaltungsspielraums jedoch unbenommen, die Gestaltungswirkung der wirksamen Kündigung rückwirkend entfallen zu lassen. Eben dies hat der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Fiktion getan, die Beendigung des Mietverhältnisses rückwirkend als nicht eingetreten zu behandeln (Rn. 23, 24 m.w.N.). Auf dieser Sichtweise beruht – unausgesprochen – auch die bisherige Rechtsprechung des BGH zum Tatbestand des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB.
Im Ergebnis entspricht der Annahme einer solchen Rückwirkung der Schonfristzahlung auch die h.M. in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum, auch wenn dort die Frage der gesetzlichen Fiktion nicht näher erörtert wird. Soweit in der Literatur eine Rückwirkung verneint und eine Heilung nur für die Zukunft (ex nunc) angenommen wird, wird dies dem dargelegten Regelungsgehalt des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nicht gerecht.
3. Insbesondere: Sinn und Zweck § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB
Der BGH verkennt nicht, dass der Wortlaut der Vorschrift insoweit unergiebig ist; entscheidend stellt er deshalb auf den Sinn und Zweck der Regelung ab (Rn. 27 ff.): Mit ihr wollte der Gesetzgeber für bestimmte Fallgestaltungen die „normale“ Folge der fristlosen Kündigung durchbrechen und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen – der wirtschaftlichen Belange des Vermieters einerseits sowie des Interesses des Mieters am Fortbestand des Mietverhältnisses andererseits – eine ununterbrochene und unveränderte Fortsetzung des Mietverhältnisses gewährleisten, was sich insbesondere aus der im Einzelnen dargelegten Entstehungsgeschichte der Norm (Rn. 29 ff.) ergibt. Im Ergebnis führt diese Regelung – „letztlich Ausdruck einer normativen Wertung“ (Rn. 33) – dazu, dass die Gestaltungswirkung bis zur Schonfristzahlung oder Übernahmeerklärung zu beachten ist, danach aber rückwirkend als nicht eingetreten gilt.
4. Zuletzt: Der systematische Zusammenhang des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB mit § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB
Nach § 543 Abs. 2 Satz 3 BGB wird die fristlose Kündigung unwirksam, wenn sich der Mieter von seiner Schuld durch Aufrechnung befreien konnte und unverzüglich nach der Kündigung die Aufrechnung erklärt. Die Verbindung zu dieser Vorschrift wird durch das eher unscheinbare Wort „auch“ in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB hergestellt und führt damit wiederum zu der vom Gesetzgeber gewollten Rückwirkung der Befriedigung des Vermieters, hier: durch die Schonfristzahlung (Rn. 36, 37).
5. Ergebnis der Rückwirkung der Schonfristzahlung: Bestand eines kündbaren Mietverhältnisses im Zeitpunkt des Zugangs der ordentlichen Kündigung
Führt nach alledem die Rückwirkung (ex tunc) der Schonfristzahlung zu der gesetzlichen Fiktion, dass das Mietverhältnis als unverändert fortbestehend gilt, geht die ordentliche Kündigung entgegen der Auffassung des LG Berlin eben nicht „ins Leere“, sondern sie trifft auf ein als bestehend geltendes Rechtsverhältnis und beendet dieses innerhalb der jeweiligen gesetzlichen Fristen, wenn ihre spezifischen Voraussetzungen des § 573 BGB erfüllt sind.
6. Die Klarstellung: Die hilfsweise ordentliche Kündigung ist unbedingt erklärt
Wohl eher zur Klarstellung schließt der BGH seine Ausführungen unter Bezugnahme auf sein Grundsatzurteil vom 16.02.2005 (VIII ZR 6/04, vgl. dazu oben unter A.) mit der Bemerkung ab, dass in Fällen der vorliegenden Art der Vermieter die hilfsweise ordentliche Kündigung unbedingt erklärt. Er spricht beide Kündigungen gleichzeitig aus, macht aber deutlich, dass die ordentliche Kündigung erst nachrangig geprüft werden soll (Rn. 42).
7. Die offene Frage: Treuwidriges Berufen des Vermieters auf die ordentliche Kündigung?
Das Bild des umfassend und äußerst sorgfältig begründeten Urteils wird abgerundet durch den Hinweis auf ein möglicherweise treuwidriges Verhalten des Vermieters, wenn er sich unter den hier gegebenen Umständen – Ausgleich der Rückstände durch den Mieter kurz nach Zugang der Kündigung – auf die (wirksame) ordentliche Kündigung beruft. Dazu hat das Berufungsgericht, aus seiner Sicht folgerichtig, keine Feststellungen getroffen; dies wird es nun nachzuholen haben (Rn. 43).

C. Kontext der Entscheidung

1. Die Grundsatzbedeutung des Urteils vom 19.09.2018
Mit dem vorliegenden Urteil dürfte die Diskussion über die Wirksamkeit einer doppelten Kündigung abgeschlossen sein. Die ausführliche, dogmatisch in jeder Hinsicht überzeugende Begründung lässt keine Fragen offen, zumal auch die bereits in der Vergangenheit geklärten Punkte der Unbedingtheit der vorsorglichen ordentlichen Kündigung und der Unzulässigkeit einer analogen Anwendung der Schonfristregelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nochmals angesprochen und uneingeschränkt bestätigt werden.
Das Gewicht des Arguments der gesetzlichen Fiktion des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB – Wiederherstellung des Mietverhältnisses in seinem Bestand vor der Kündigung – kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Diesen zentralen Gesichtspunkt hat das LG Berlin in seiner Entscheidung völlig übergangen, und darin liegt letztlich der Grund für die dogmatisch unzutreffende „Weichenstellung“.
Die Grundsatzbedeutung der Entscheidung kommt im Übrigen auch dadurch zum Ausdruck, dass der BGH ihre Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung BGHZ vorgesehen hat.
Der Leitsatz der Parallelentscheidung des BGH vom 19.09.2018 (VIII ZR 261/17) verweist auf das vorliegende Urteil VIII ZR 231/17 („im Anschluss an …“). Die Begründung ist, soweit es um die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung geht, wortgleich mit der hier besprochenen Entscheidung.
2. Die Tilgung des Rückstandes: Bedeutung für den Tatbestand des § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB oder für den Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB)?
Bei der Bewertung der – auf den ersten Blick recht strengen – Rechtsprechung des VIII. Senats des BGH zur doppelten Kündigung darf nicht übersehen werden, dass der BGH bereits in seinem Urteil vom 16.02.2005 (VIII ZR 6/04) dem Umstand, dass der Mieter wenige Tage nach dem Zugang der Kündigung den Mietrückstand vollständig getilgt hatte, unter zwei Gesichtspunkten erhebliche Bedeutung für die Prüfung des Tatbestandes des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB beigemessen hatte: Zum einen kann sich der Mieter in diesem Zusammenhang auf unvorhersehbare wirtschaftliche Engpässe berufen und damit das Merkmal der schuldhaften nicht unerheblichen Pflichtverletzung entkräften. Überdies „kann im Rahmen des Verschuldens … eine nachträgliche Zahlung des Mieters zu seinen Gunsten berücksichtigt werden, weil sie ein etwaiges Fehlverhallten in einem milderen Licht erscheinen lässt“ (a.a.O. unter II 2 d) cc), juris-Rn. 20). Ist bei einer solchen Betrachtung des schuldhaften Fehlverhaltens „in einem milderen Licht“ eine schuldhafte nicht unerhebliche Pflichtverletzung des Mieters zu verneinen, bedarf es nicht mehr eines Rückgriffs auf den Gesichtspunkt von Treu und Glauben (a.a.O.).
Im Urteil vom 10.10.2012 (VIII ZR 107/12 Rn. 31 – BGHZ 195, 64) hat der BGH Bedenken angedeutet, ob die nachträgliche Zahlung „wie es im damaligen Senatsurteil [vom 16.02.2005] möglicherweise anklingt – im Rahmen der Wirksamkeit der Kündigung oder – was aus systematischen Gründen näher liegen dürfte – im Rahmen von § 242 BGB zu prüfen ist, weil sich die Berufung auf eine wirksam ausgesprochene Kündigung aufgrund nachträglich eingetretener Umstände im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann (…)“. In jenem Urteil bedurfte diese Frage allerdings keiner Entscheidung, weil der Mieter seine Rückstände erst neun Monate nach der Kündigung getilgt hatte und damit „mildernde Umstände“ von vornherein auszuschließen waren.
Im Beschluss vom 06.10.2015 (VIII ZR 321/14 Rn. 10 – WuM 2016, 225) hat der BGH schließlich das erfolgreiche Bemühen des Mieters, die Mietzahlung nach seinem zeitweiligem finanziellem Engpass umgehend wieder aufzunehmen und die entstandenen Mietrückstände bereits vor Zustellung der Räumungsklage vollständig zurückzuführen, als Grund für die Anwendung des § 242 BGB – konkret: für die Annahme eines treuwidrigen Verhaltens des Vermieters bei dessen Beharren auf der (ordentlichen) Kündigung – gewertet. An dieser Linie hält der BGH im vorliegenden Urteil fest, wenn er in der neuen Berufungsverhandlung – neben der vorrangigen Prüfung des Tatbestandes des § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB – ggf. eine Prüfung der Frage für geboten hält, ob der kurze Zeit nach Zugang der Kündigung erfolgte Ausgleich der Rückstände bei tatrichterlicher Würdigung der konkreten Einzelfallumstände die Berufung auf die ordentliche Kündigung als treuwidrig (§ 242 BGB) erscheinen lässt (a.a.O. Rn. 43).
3. Änderung der Rechtslage nicht zu erwarten
Seit der ersten einschlägigen Entscheidung vom 16.02.2005 hat die Rechtsprechung des VIII. Senats des BGH zum Verhältnis zwischen den wegen Zahlungsverzugs erklärten beiden Kündigungsformen Widerspruch ausgelöst. Das Ergebnis wurde vielfach als „ungerecht“ empfunden, weil die vorsorglich erklärte ordentliche Kündigung trotz der vollständigen Befriedigung des Vermieters und der dadurch herbeigeführten Unwirksamkeit der „strengeren“ fristlosen Kündigung wirksam bleiben und das Mietverhältnis beenden soll. Die Begründung des Urteils vom Februar 2005 und der aktuellen Entscheidung ist jedoch geradezu zwingend; auch die analoge Anwendung der Schonfristregelung auf die ordentliche Kündigung scheidet danach aus, wie der BGH in dem bereits erwähnten Urt. v. 10.10.2012 (unter II 2 c, Rn. 27 ff.; ebenso BGH, Beschl. v. 06.10.2015 – VIII ZR 321/14 und BGH, Beschl. v. 23.02.2016 – VIII ZR 321/14 – Grundeigentum 2016, 455) mit eingehender und überzeugender Begründung ausgeführt hat.
Der Gesetzgeber – wenn auch „nur“ in Gestalt der Bundesregierung – hat hier Korrekturbedarf gesehen. Im Jahr 2016 hatte das SPD-geführte BMJV einen Referentenentwurf für ein Zweites Mietrechtsnovellierungsgesetz (2. MietNovG) erstellt, mit dem u.a. die – aus der Sicht des Ministeriums unbefriedigenden – Konsequenzen der Rechtsprechung des BGH zur Unzulässigkeit einer analogen Anwendung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch einen neuen Abs. 3 in § 573 BGB beseitigt werden sollten; konkret: Die Schonfristregelungen, wie sie in § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB für die fristlose Kündigung enthalten sind, sollten auf die ordentliche Kündigung übertragen werden (näher dazu S. 9, 15, 18 und 46 des Referentenentwurfs). Der Gesetzentwurf ist jedoch bekanntlich bereits im Bundeskabinett am Widerstand der CDU/CSU-geführten Ministerien gescheitert. Der aktuelle Gesetzentwurf des BMJV für ein Mietrechtsanpassungsgesetz (MietAnpG) befasst sich ausschließlich mit dem Komplex der Modernisierungsmieterhöhung. Eine Änderung der Rechtslage hinsichtlich der doppelten Kündigung ist demnach in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Die Auswirkungen des Urteils vom 19.09.2018 sind kurz wie folgt zu umschreiben:
1. Empfehlung Vermieter: Unverändertes Festhalten an der bisherigen Praxis
Für die Vermieterseite empfiehlt sich in Fällen des Zahlungsverzugs die unveränderte Fortsetzung der bisherigen Praxis der doppelten Kündigung; eine Einschränkung auf lediglich eine der beiden gesetzlichen Möglichkeiten dürfte dem Ziel des Vermieters, das Mietverhältnis aufgrund des Zahlungsverzugs beenden zu wollen, wegen der Folgen einer Schonfristzahlung bzw. wegen fehlenden Verschuldens des Mieters hinsichtlich des Zahlungsrückstandes häufig nicht entsprechen. Allerdings sollte der Vermieter in besonders gelagerten Fällen – Stichwort: „milderes Licht“ – unbedingt berücksichtigen, dass eine Räumungsklage letztlich keinen Erfolg verspricht. Seine Linie, bei einer Fallgestaltung wie hier ein Berufen auf die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung als treuwidrig (§ 242 BGB) zu werten, hat der BGH in den vergangenen Jahren wiederholt bestätigt. Voraussetzung für die Annahme einer derartigen Ausnahmesituation ist jedoch stets, dass der Mieter nach Zugang der Kündigung den Zahlungsrückstand unverzüglich und vollständig tilgt bzw. eine entsprechende Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle vorliegt.
2. Empfehlung Mieter: Unverzügliche Information des Vermieters und Tilgung des Rückstandes, soweit irgend möglich
Für den Mieter bestätigt das Urteil einmal mehr, dass es sich dringend empfiehlt, spätestens nach Zugang der Kündigung den Zahlungsrückstand vollständig zu tilgen und darüber hinaus dem Vermieter etwaige Gründe für den Zahlungsverzug mitzuteilen. Soweit es sich um eine unverschuldete und nicht vorhersehbare finanzielle Notlage handelt, kann dies der ordentlichen Kündigung bereits die rechtliche Grundlage entziehen, weil es dann an der schuldhaften nicht unerheblichen Pflichtverletzung i.S.d. § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB fehlt; allerdings trifft den Mieter die Darlegungs- und Beweislast für eine solche Ausnahmesituation (BGH, Beschl. v. 29.06.2016 – VIII ZR 173/15 Rn. 19 – NJW 2016, 2805; BGH, Beschl. v. 20.07.2016 – VIII ZR 238/15 Rn. 15 – WuM 2016, 682). Kann sich der Mieter auf derartige Entschuldigungsgründe nicht berufen, bleibt ihm nur noch – wie im vorliegenden Fall – der Hinweis auf besondere Umstände, die ihn, wenn auch nicht im Rechtssinne entschuldigen, so doch möglicherweise soweit entlasten, dass das Berufen des Vermieters auf die wirksame ordentliche Kündigung unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls als Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben erscheint.

Wirksamkeit der doppelten Kündigung wegen Zahlungsverzugs
Andrea KahleRechtsanwältin

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