Nachfolgend ein Beitrag vom 28.07.2016 von Müller, jurisPR-MietR 15/2016 Anm. 5

Leitsatz

Die Wohnungseigentümergemeinschaft ist für gemeinschaftsbezogene Pflichten der Wohnungseigentümer nach § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 1 WEG kraft Gesetzes passiv prozessführungsbefugt.

A. Problemstellung

Der Gesetzgeber hat die Rechtsfähigkeit der Wohnungseigentümergemeinschaft durch Einführung des § 10 Abs. 6 WEG zwar festgelegt, diese aber nicht umfänglich ausgestaltet. Teil des Problems ist die Tatsache, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft „nur“ teilrechtsfähig ist. § 10 Abs. 1 WEG betont das individuelle Eigentum. Der Gesetzgeber hat es weitgehend der Rechtsprechung überlassen, diese Teilrechtsfähigkeit auszugestalten, also eine Balance zwischen den individuellen und den gemeinschaftlichen Rechten und Pflichten zu finden. Nach nunmehr neun Jahren „neuem“ WEG sind immer noch Fragen offen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Klägerin und die Mitglieder der Beklagten sind Nachbarn zweier im Saarland gelegener Grundstücke. Beklagte ist die Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Kläger hatten von der Beklagten die Beseitigung eines auf ihrem Grundstück stehenden Zaunes verlangt. Nach dessen Beseitigung hatten sie die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagten widersetzen sich der Erledigterklärung mit der Begründung, sie seien nicht passivlegitimiert und der Anspruch sei verjährt. Das Amtsgericht stellte die Hauptsacherledigung fest. Das Landgericht bestätigte diese Entscheidung. Mit der zugelassenen Revision möchte die Beklagte weiterhin Klageabweisung erreichen. Die Klägerin tritt dem entgegen.
Der BGH hat die Sache unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Landgericht habe zur Verjährung des Anspruchs keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Das Landgericht hatte die Passivlegitimation der Beklagten bejaht, da diese nach § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer ausübe und deren gemeinschaftsbezogenen Pflichten wahrnehme. Der geltend gemachte Herausgabeanspruch bestehe sowohl gemäß § 985 BGB als auch gemäß § 1004 BGB. Beide Anspruchsgrundlagen bestünden nebeneinander. Demnach sei der Anspruch nicht verjährt. Der Anspruch aus § 985 BGB verjähre in 30 Jahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Der Herausgabeanspruch des § 985 BGB beschränke sich auf die Herausgabe des Grundstücks. Die Beseitigung der störenden Anlage (des Zauns) könne nur gemäß § 1004 BGB verlangt werden. Die beklagte Wohnungseigentümergemeinschaft könne auf Beseitigung des Zauns in Anspruch genommen werden. Zwar bestehe keine originäre Verpflichtung der Beklagten gemäß § 10 Abs. 6 Satz 2 WEG, weil der Verband über die Benutzung und Verwaltung des Gemeinschaftseigentums nicht entscheide. Hierüber entscheiden die Wohnungseigentümer nach den §§ 15 Abs. 1, 21 Abs. 1 WEG. Die Pflicht zur Beseitigung des Zauns sei allerdings gemeinschaftsbezogen. Sie treffe sämtliche Wohnungseigentümer und sei damit geborene Wahrnehmungsbefugnis des Verbandes gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 1 WEG. Dies deshalb, weil die Entscheidung über die Einfriedung des Grundstücks die Wohnungseigentümer gemeinschaftlich zu treffen haben. Nach der Interessenlage sei also ein gemeinsames Vorgehen geboten. Die Erfüllung dieser Pflicht durch den Verband sei nicht lediglich förderlich. Nur in diesem Fall bestünde eine gekorene Wahrnehmungsbefugnis des Verbandes gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 2 WEG. Bei der Abgrenzung sei eine wertende Betrachtungsweise heranzuziehen. Bestehe eine gemeinschaftsbezogene Verpflichtung des Verbandes gemäß § 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 1 WEG, so bestehe auch eine passive Prozessführungsbefugnis des Verbandes. Diese habe der Gesetzgeber mit Erlass der Vorschrift des § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG eingeführt.
Die Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht sei geboten, weil dieses zur Frage der Verjährung des Anspruchs keine ausreichenden Feststellungen getroffen habe. Hier sei die regelmäßige Verjährungsfrist der §§ 195, 199 BGB einschlägig, weil sich der Beseitigungsanspruch der Kläger alleine auf § 1004 BGB gründe.

C. Kontext der Entscheidung

Die aktive Prozessführungsbefugnis des Verbandes ist unumstritten. Nimmt die Gemeinschaft gemeinschaftsbezogene Pflichten wahr (§ 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 1 WEG), so ist sie ohne weiteres aktiv prozessführungsbefugt. Nimmt der Verband Pflichten der Gemeinschaft i.S.d. § 10 Abs. 6 Satz 3 HS. 1 WEG wahr, so bestehen diese Pflichten nicht nur im Innenverhältnis gegenüber den Mitgliedern der Gemeinschaft, sondern auch im Außenverhältnis gegenüber deren Gläubigern. Schon aus diesem Grunde muss auch die passive Prozessführungsbefugnis des Verbandes bejaht werden. Der BGH hat dies bereits im Urteil vom 02.03.2012 (V ZR 169/11 Rn. 14 – NZM 2012, 435) in einem Hinweis an die Vorinstanz unterstellt und hält daran fest.
Offengelassen ist weiterhin die umstrittene Frage, wie sich die passive Prozessführung des Verbandes auf die Prozessführung des einzelnen Wohnungseigentümers auswirkt. Besteht eine aktive Prozessführungsbefugnis des Verbandes, so schließt diese die Prozessführungsbefugnis des einzelnen Wohnungseigentümers aus. Für die passive Prozessführungsbefugnis hat der BGH dies offengelassen. Die Frage ist umstritten.

D. Auswirkungen für die Praxis

Steht fest, dass eine gemeinschaftsbezogene Pflicht des Verbandes im Raum steht, so ist es im Hinblick auf die vorliegende Entscheidung geboten, den Verband gerichtlich in Anspruch zu nehmen. Ob der einzelne Eigentümer daneben in Anspruch genommen werden kann, muss als zweifelhaft, jedenfalls offen angesehen werden. Schwieriger dürfte die Einordnung einer Pflicht als gemeinschaftsbezogen sein. Der BGH stellt hier auf eine „wertende Betrachtungsweise“ ab. Insoweit wird immer eine gewisse Unsicherheit bleiben, ob ein Gericht die vorgenommene Wertung teilt.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das Urteil arbeitet die Unterschiede zwischen den Ansprüchen aus § 985 BGB einerseits und § 1004 BGB andererseits sauber heraus. Gerade im Hinblick auf die Frage der Verjährung (30 oder drei Jahre) ist diese Unterscheidung von erheblicher Bedeutung. Mithilfe des § 985 BGB kann nur das Eigentum selbst herausverlangt werden, vorliegend dann mit dem störenden Zaun. Dessen Beseitigung kann nur auf der Grundlage von § 1004 BGB gefordert werden. Dieser Anspruch muss allerdings innerhalb der Frist der §§ 195, 199 BGB geltend gemacht werden.