Nachfolgend ein Beitrag vom 23.6.2017 von Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 12/2017 Anm. 2

Leitsätze

1. Eine Kündigung wegen „Betriebsbedarfs“ nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass betriebliche Gründe die Nutzung gerade der gekündigten Wohnung notwendig machen. Die Wohnung muss deshalb für die betrieblichen Abläufe nach den Aufgaben der Bedarfsperson von wesentlicher Bedeutung sein. Dies wird etwa bei einem Angestellten, dem die Aufgaben eines „Concierge“ übertragen sind, der Fall sein, nicht aber bei einem Hausmeister, der mehrere Objekte des Vermieters betreuen soll und ohnehin bereits in der Nähe eines der Objekte wohnt (im Anschluss an Senatsurt. v. 23.05.2007 – VIII ZR 122/06 Rn. 12 ff. – NZM 2007, 639).
2. Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Würdigung des Parteivortrags und des Beweisergebnisses, wenn der nach einer Bedarfskündigung ausgezogene Mieter Schadensersatz wegen vorgetäuschtem Bedarf im Hinblick darauf begehrt, dass der Vermieter den zur Grundlage der Kündigung gemachten behaupteten Bedarf anschließend nicht verwirklicht hat.

A. Problemstellung

Man hat zumindest den Eindruck, dass Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs in der Praxis mindestens die gleiche Bedeutung haben wie Räumungsklagen aufgrund einer Kündigung wegen Eigen- oder Betriebsbedarfs. Die Schadensersatzverfahren haben neben der materiellen Frage, ob überhaupt Eigenbedarf vorlag auch die prozessuale Frage, wer was vortragen muss und wie hoch die Anforderungen an die Überzeugungsbildung sind.
Mit genau diesen beiden Fragenkreisen befasst sich die vorliegende BGH-Entscheidung. Es handelt sich um die zweite Revisionsentscheidung im gleichen Verfahren (BGH, Urt. v. 10.06.2015 – VIII ZR 99/14). Im ersten Durchgang ging es um die Frage, ob Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Betriebsbedarfs dann ausgeschlossen sind, wenn die Parteien im Räumungsprozess einen Vergleich geschossen haben. Der BGH hatte damals die Anforderungen an einen eventuellen Verzichtswillen des Mieters sehr hoch geschraubt und die Sache zur Frage, ob wirklich Betriebsbedarf vorgelegen hat, an eine andere Kammer des LG Koblenz zurückverwiesen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Kläger war Mieter einer im dritten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Vier-Zimmer-Wohnung in Koblenz zu einer monatlichen Miete von zuletzt 523,09 Euro brutto. Im Vorprozess nahm der neue Vermieter den Kläger auf Räumung dieser Wohnung in Anspruch. Dabei stützte sich der Vermieter auf eine noch vom Voreigentümer unter Hinweis darauf, dass der bestehende Hausmeisteranstellungsvertrag vom neuen Eigentümer nicht übernommen werde, erklärte ordentliche Kündigung. Im Räumungsrechtsstreit kündigte er nochmals. In diesem Verfahren schlossen die Parteien 2011 einen Räumungsvergleich, in dem sich der Mieter verpflichtete, die Wohnung bis spätestens 31.12.2011 zu räumen sowie die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Vergleichs zu tragen. Der Mieter zog im Oktober 2011 aus. Der angekündigte neue Hausmeister zog anschließend nicht in die Wohnung ein, sondern eine nicht mit Hausmeisterdiensten betraute Familie.
Der Mieter verlangt Ersatz von Umzugskosten (750 Euro), der Prozesskosten des Räumungsrechtsstreits (4.438,15 Euro) sowie der Mehrkosten (16.691,68 Euro für einen Zeitraum von vier Jahren), die ihm durch die höhere Miete für die neue Wohnung (850 Euro monatlich gegenüber bisher 523,09 Euro) und dadurch entstanden seien, dass er bislang zu Fuß zurückgelegte Wege nunmehr mit dem Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen müsse (3.677,60 Euro für den Zeitraum von vier Jahren).
Nach der ersten Zurückverweisung hat das LG Koblenz eine Beweisaufnahme durch Vernehmung des ursprünglich vorgesehenen Hausmeisters durchgeführt und anschließend die Klage abgewiesen. Bestätigt hat der BGH die Klageabweisung hinsichtlich der Schadensposition erhöhte Fahrtkosten i.H.v. 3677,60 Euro, da der Sachvortrag diesbezüglich nicht ausreichend substantiiert genug war.
Im Übrigen hat der Senat nunmehr auch die zweite Entscheidung des LG Koblenz aufgehoben und die Sache erneut an eine dritte (diesmal genau bezeichnete Kammer) des LG Koblenz zurückverwiesen.
Der Vermieter ist im Falle der Vortäuschung von (Eigen-)Bedarf wie auch sonst bei einer schuldhaften (materiell) unberechtigten Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses dem Mieter gemäß § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Dem Grunde nach war deshalb der Anspruch des Mieters gegeben. Der Mieter hatte durch den Räumungsvergleich auch nicht darauf verzichtet, wie der BGH in seiner ersten Entscheidung bereits entschieden hatte (BGH, Urt. v. 10.06.2015 – VIII ZR 99/14). Es ging also vorliegend darum, ob hier überhaupt ein zur Kündigung berechtigender Betriebsbedarf vorgelegen hat und ob der Mieter bewiesen hatte, dass der diesen Kündigungstatbestand ausfüllende Sachvortrag des Vermieters vorgetäuscht war.
I. Erforderlicher Sachvortrag des Mieters
Nach Ansicht des BGH kommt dem Mieter eine Beweiserleichterung in den Fällen zugute, in denen der Vermieter nach Auszug des Mieters den angekündigten Bedarf nicht umsetzt. In diesem Fall trifft den Vermieter eine sekundäre Darlegungslast zum nachträglichen Wegfall des Bedarfs. Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht um, liegt nämlich der Verdacht nahe, dass der Bedarf nur vorgeschoben gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel („stimmig“) darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Bedarf nachträglich entfallen sein soll; an diese Darlegung sind nach der Rechtsprechung des Senats (BGH, Beschl. v. 11.10.2016 – VIII ZR 300/15) strenge Anforderungen zu stellen.
Diesen strengen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nach Ansicht des BGH nicht. Der Sachvortrag des Vermieters sei alles andere als stimmig, sondern im Gegenteil unplausibel. Der Senat führt dann eine eigene ausführliche Beweiswürdigung durch. Dabei wirft er der Berufungskammer mehrfach vor, dass sich eine andere Würdigung des Beweisergebnisses aufgedrängt habe. Die vom Berufungsgericht gebildete Überzeugung, der vom Beklagten mit der Kündigung geltend gemachte Bedarf habe tatsächlich vorgelegen, sei von Rechtsfehlern beeinflusst und beruhe insbesondere auf einer unvollständigen Würdigung des Prozessstoffes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 286 Abs. 1 ZPO). Der Senat kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass der Vermieter gerade nicht „stimmig“ vorgetragen habe, warum der Betriebsbedarf nach der Kündigung weggefallen sei.
II. Anforderungen an den Betriebsbedarf
Eine Kündigung wegen „Betriebsbedarfs“ setzt voraus, dass betriebliche Gründe die Nutzung gerade der gekündigten Wohnung notwendig machen. Die Wohnung muss deshalb für die betrieblichen Abläufe nach den Aufgaben der Bedarfsperson von wesentlicher Bedeutung sein (BGH, Urt. v. 23.05.2007 – VIII ZR 122/06 – NZM 2007, 639). Dies werde etwa bei einem Angestellten, dem die Aufgaben eines „Concierge“ übertragen werden oder dessen ständige Anwesenheit aus sonstigen Gründen vorausgesetzt ist, der Fall sein, nicht aber – wie hier – bei einem Hausmeister, der mehrere Gebäude des Vermieters betreuen soll und ohnehin bereits in der Nähe eines der Objekte wohnt.
Durch den Räumungsvergleich ist es dem Mieter nur verwehrt, Schadensersatzansprüche darauf zu stützen, dass der tatsächlich geltend gemachte Bedarf aus Rechtsgründen die ausgesprochene Kündigung nach § 573 Abs. 1 BGB nicht gerechtfertigt hätte. Es ist dem Mieter aber weiter gestattet, geltend zu machen, dass die vom Beklagten dargelegte Bedarfssituation in Wahrheit gar nicht vorgelegen hat. Hier dränge sich die Vermutung auf, dass bei der Kündigung kein oder jedenfalls noch kein konkreter und ernsthafter, sondern ein allenfalls sehr unbestimmter Nutzungswille bestanden und es sich daher (allenfalls) um eine (unzulässige) Vorratskündigung gehandelt habe, die gleichfalls als Pflichtverletzung anzusehen wäre und somit ebenfalls Grundlage des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs des Klägers sein könnte.
III. Einzelne Schadenspositionen
Der Senat befasst sich sodann mit den noch entscheidungserheblichen Schadenspositionen:
1. Umzugskosten
Dem Senat genügt die Aufschlüsselung der geringen Umzugskosten. Kosten der Wohnungssuche (50 Euro), für das beauftragte Unternehmen (450 Euro), Zahlungen an freiwillige Helfer (100 Euro), Fahrtkosten (50 Euro) und Umzugsservice der Telekom (60 Euro) seien schlüssig. Zum schlüssigen Sachvortrag gehöre nicht die Vorlage von Belegen. Einige der Kosten verstünden sich bei verständiger Würdigung von selbst. Das Gericht hätte die Kosten sogar gemäß § 287 ZPO schätzen können.
2. Mietdifferenzschaden
Nicht erstattungsfähig sind nur die zusätzlichen Kosten, die auf einem höheren Wohnwert der Wohnung beruhen, etwa aufgrund besserer Ausstattung, Zuschnitts, Lage oder Größe der neuen Wohnung. Dies rechtfertigt es aber nicht, eine Klage auf Ersatz eines Mietdifferenzschadens nach unberechtigter Kündigung erst dann als ausreichend substantiiert und schlüssig anzusehen, wenn der Mieter detaillierte Angaben zur Ausstattung, Lage, Größe und Wohnwert der bisherigen und der neu angemieteten Wohnung macht und deren Vergleichbarkeit im Einzelnen darlegt und belegt. Schon die Höhe der Miete für die 100 qm große 4 1/2 Zimmer spreche dafür, dass es sich um eine ungewöhnlich günstige und deutlich unter der ortsüblichen Vergleichsmiete liegende Miete handelte. Zur Ermittlung des Mietdifferenzschadens sei regelmäßig die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich.
3. Prozesskosten
Diese Schadensposition ist weder durch den Räumungsvergleich ausgeschlossen noch dadurch, dass die Kosten von der Rechtsschutzversicherung getragen wurden. Eine Erstattung der Prozesskosten durch die Rechtsschutzversicherung würde nicht zum Wegfall des Schadens und somit zur Unbegründetheit der diesbezüglichen Klage führen, sondern nur zum Übergang des Schadensersatzanspruchs auf die Versicherung nach § 86 Abs. 1 VVG.

C. Kontext der Entscheidung

Die Entscheidung zeigt noch einmal die Risiken für Vermieter auf, die eine Kündigung wegen Eigen- oder Betriebsbedarf als Mittel einsetzen, einen unliebsamen Mieter loszuwerden. Es müssen schon wirklich überzeugende Gründe vorliegen, wenn der angekündigte Bedarf später nicht umgesetzt wird. Für den Betriebsbedarf hat der Senat am gleichen Tag nach missverständlichen Ausführungen in einer älteren Entscheidung (BGH, Urt. v. 26.09.2012 – VIII ZR 330/11) klargestellt, wann eine solche Kündigung, die wohl zwischen Eigenbedarfskündigung und Kündigung wegen wirtschaftlicher Verwertung anzusiedeln ist, möglich ist (BGH, Urt. v. 29.03.2017 – VIII ZR 45/16, mit Anm. Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 11/2017 Anm. 3).

D. Auswirkungen für die Praxis

Der Senat hat für das weitere Verfahren noch eine Art „Segelanleitung“ gegeben. Danach soll die jetzt zuständige weitere Kammer des LG Koblenz ggf. den Zeugen noch einmal vernehmen.