Nachfolgend ein Beitrag vom 20.4.2017 von Gies, jurisPR-MietR 8/2017 Anm. 2
Orientierungssatz zur Anmerkung
Eine Kündigungserklärung des Wohnraumvermieters gemäß § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB ist unwirksam, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene Zweckentfremdungsgenehmigung für den Vermieter im Falle eines beabsichtigten Abrisses des Wohngebäudes behördlich nicht erteilt ist.
Ein Klagevorbringen des Wohnraumvermieters auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung auf der Basis einer Kündigungserklärung nach § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB ist unschlüssig, wenn eine gesetzlich vorgeschriebene behördliche Zweckentfremdungsgenehmigung nicht vorliegt.
A. Problemstellung
Das AG Berlin-Schöneberg hatte sich mit der Problematik zu befassen, welche Anforderungen an eine wirksame Kündigungserklärung des Vermieters in einem Mietverhältnis über Wohnraum zu stellen sind, wenn der Vermieter beabsichtigt, das Gebäude, in dem sich die Mietwohnung befindet, abreißen zu lassen, um an dessen Stelle ein neues Wohn- und Geschäftshaus zu errichten.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin ist Vermieterin, die Beklagten sind Mieter einer Wohnung in Berlin. Die Klägerin beabsichtigt, das Wohngebäude, in dem sich die Mietwohnung befindet, abreißen zu lassen und durch ein neues Wohn- und Geschäftshaus zu ersetzen. Mit Schreiben vom 02.09.2015 kündigte sie das Mietverhältnis und führte zur Begründung aus, durch den Fortbestand des Mietverhältnisses sei sie an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert und erleide dadurch erhebliche Nachteile. Eine Zweckentfremdungsgenehmigung sei beantragt, bislang aber noch nicht erteilt worden. Mit der Klage wurde Räumung und Herausgabe der angemieteten Wohnung verlangt. In der Klageschrift ist das Mietverhältnis erneut ordentlich gekündigt worden.
Das AG Berlin-Schöneberg hat die Klage abgewiesen.
Die Kündigungserklärungen seien unwirksam, da es sich in der Sache um eine unzulässige Vorratskündigung handele. Zum Zeitpunkt der Kündigungserklärungen habe eine erforderliche Zweckentfremdungsgenehmigung nicht vorgelegen. Das Vorliegen einer Zweckentfremdungsgenehmigung sei aber Wirksamkeitsvoraussetzung für eine erfolgreiche Kündigung des Wohnraummietverhältnisses.
C. Kontext der Entscheidung
Der amtsgerichtlichen Entscheidung kann in vollem Umfang zugestimmt werden. Zwar ist das Amtsgericht nicht auf die zahlreichen Streitfragen eingegangen, die sich um eine Verwertungskündigung i.S.d. § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB ranken; angesichts der Eindeutigkeit des Falles war dies auch nicht notwendig.
Erstes Problem: die gesetzlichen Grundlagen für die Zweckentfremdungsgenehmigung in Berlin.
Maßgebend ist das Gesetz des Landes Berlin über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum vom 29.11.2013 (ZwVbG – GVBl. 2013, 626) zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.03.2016 (GVBl. 2016, 115). Nach § 2 Abs. 1 Ziffer 3 ZwVbG liegt eine Zweckentfremdung von Wohnraum vor, wenn er baulich so verändert wird, dass er für Wohnzwecke nicht mehr geeignet ist. Nach § 3 ZwVbG ist eine entsprechende Genehmigung durch die zuständige Behörde erforderlich. Da im vorliegenden Fall das Wohngebäude abgerissen und durch ein neues Wohn- und Geschäftshaus ersetzt werden soll, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Genehmigungserfordernis vor.
Zweites Problem: Muss in einer Kündigungserklärung des Vermieters angegeben werden, dass eine Zweckentfremdungsgenehmigung erteilt worden ist?
Das LG Mannheim hat sich mit Urteil vom 16.01.2004 (4 S 100/03 – NZM 2004, 256) auf den Standpunkt gestellt, der Vermieter habe im Kündigungsschreiben nur die Tatsachen mitzuteilen, das Gebäude, in dem sich die Mietwohnung befindet, werde abgerissen und ein neues Gebäude werde an seiner Stelle errichtet. Daneben müssten allein noch die wirtschaftlichen Nachteile dargestellt werden, die der Vermieter beim Fortbestand des Wohnraummietverhältnisses zu erleiden habe. Mehr brauche im Kündigungsschreiben nicht aufgeführt zu werden, weil das Gesetz weitere Tatsachen nicht fordere. Namentlich bedürfe es nicht einer Darlegung des Standes der vermieterseitigen Planungen und nicht eines Hinweises auf eine etwa behördlich notwendige Zweckentfremdungsgenehmigung.
Dieser Entscheidung des LG Mannheim kann nicht gefolgt werden, weil sie den Anforderungen an die Begründung der Kündigung nach § 573 Abs. 3 BGB nicht gerecht wird. In dem Kündigungsschreiben müssen nach der vorbezeichneten Vorschrift die Gründe für das berechtigte Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses angegeben werden. Zweck des Begründungserfordernisses ist, dem Mieter zum frühestmöglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen. Der Mieter soll in die Lage versetzt werden, die Rechtslage und seine Verteidigungsmöglichkeiten zutreffend einzuschätzen. Wird auf das Erfordernis der Darlegung über eine notwendige Zweckentfremdungsgenehmigung verzichtet, kann sich der Mieter keine Vorstellungen darüber machen, ob das vom Vermieter geplante Bauvorhaben überhaupt verwirklicht werden kann. Ob die Zweckentfremdungsgenehmigung erteilt wird oder nicht, entzieht sich der Einflusssphäre des Mieters. Als schwacher Trost erscheint, dass durch Beschreitung des Rechtsweges vor den Verwaltungsgerichten sowohl die Versagung der Zweckentfremdungsgenehmigung von Seiten des Vermieters als auch deren Erteilung von Seiten des Mieters bekämpft werden können (OLG Hamburg, Rechtsentscheid v. 25.03.1981 – 4 U 201/80 – NJW 1981, 2308, 2309). Ein Verzicht auf eine Darlegung der näheren Umstände des Erlasses einer Zweckentfremdungsgenehmigung lässt eine sichere Einschätzung der Rechtsverteidigung durch den Mieter nicht zu.
Gegen eine Darlegung über das Vorliegen einer Zweckentfremdungsgenehmigung könnte die Rechtsprechung des BGH sprechen, der zufolge an die Begründung einer Kündigung regelmäßig nur geringe Anforderungen zu stellen sein sollen. Bei einer vermieterseitigen Kündigung nach § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB genügt es aber nicht, wenn das Kündigungsschreiben lediglich eine Rechtsbehauptung enthält oder allein den Gesetzestext wiedergibt. Erforderlich ist vielmehr eine genaue Angabe von Tatsachen, aus denen sich der Kündigungsgrund herleiten lässt. Zu diesen Mindestangaben gehört aber, dass so viel an Tatsachenmaterial in der Kündigungserklärung enthalten sein muss, dass der Mieter als Adressat der Kündigung seine Rechtsverteidigung darauf einstellen kann. Dazu gehört als Mindestangabe auch die Mitteilung vom Vorliegen einer Zweckentfremdungsgenehmigung. Da im vorliegenden Fall zwischen den Parteien unstreitig war, dass eine behördlich notwendige Zweckentfremdungsgenehmigung nicht beigebracht worden war, ist die Entscheidung des Amtsgerichts hinsichtlich der Bewertung der Kündigungserklärung vom 02.09.2015 nicht zu beanstanden.
Drittes Problem: Im Rechtsstreit hatte die Klägerin in ihrer Klageschrift die ordentliche Kündigung erneut ausgesprochen und mit § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB begründet. Spätestens im Rechtsstreit hätte ein Sachvortrag der Klägerin erfolgen müssen, der das Räumungs- und Herausgabeverlangen auf eine schlüssige Tatsachenbasis gestellt hätte. Neben der Frage der Wirksamkeit einer Kündigung nach § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB stellt sich im Rechtsstreit die Problematik schlüssigen Sachvortrages, um die Anspruchsgrundlagen der §§ 546 Abs. 1 und 985 BGB mit Tatsachenstoff zu unterfüttern. Zu einem schlüssigen Sachvortrag hätte gehört, dass die Fortsetzung des Mietverhältnisses die Vermieterin an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks hindert. Insoweit enthält der vom Amtsgericht mitgeteilte Sachverhalt keine Angaben, aus welchen Erwägungen heraus die Klägerin an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert wird. In diesem Zusammenhang hätte es schlüssigen Sachvortrages bedurft. Bereits dieser Umstand fehlenden schlüssigen Sachvortrages steht einer erfolgreichen Räumungs- und Herausgabeklage entgegen. Hinzu tritt der Umstand, dass nicht einmal im Zeitpunkt der Klageerhebung die Zweckentfremdungsgenehmigung vorgelegen hat, so dass das Amtsgericht zu Recht sich bei der Abfassung der Entscheidungsgründe kurz fassen konnte.
Ergänzend ist noch darauf zu verweisen, dass sich schlüssiger Sachvortrag auch nicht für das Tatbestandsmerkmal „erhebliche Nachteile“ zulasten der Vermieterin in der Klageschrift findet. Daher ist dem Amtsgericht in Tenor und Entscheidungsgründen völlig zuzustimmen.
D. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des AG Berlin-Schöneberg zeigt deutlich die Hindernisse auf, die ein Vermieter überwinden muss, will er eine Kündigung eines Wohnraummietvertrages über den Weg des § 573 Abs. 2 Ziffer 3 BGB erfolgreich durchstehen. Während ein Räumungsrechtsstreit etwa auf der Basis einer Eigenbedarfskündigung sich regelmäßig auf einen überschaubaren Lebenssachverhalt stützen lässt, ist die Kündigung wegen Verhinderung angemessener wirtschaftlicher Verwertung mit beträchtlichen Schwierigkeiten ausgestattet, die anwaltliche Hilfe erforderlich machen. Für eine Darlegung angemessener wirtschaftlicher Verwertung bedarf es substantiierten Sachvortrages; entsprechendes gilt für die Darlegung der erheblichen Nachteile für den Fall einer Fortsetzung des Mietverhältnisses. Dass aber nach einer Kündigungserklärung ein Rechtsstreit auf Räumung und Herausgabe der angemieteten Wohnung begonnen wird, ohne auch nur das Ergebnis des behördlichen Verfahrens auf Erlangung einer gesetzlich vorgeschriebenen Zweckentfremdungsgenehmigung abzuwarten, erstaunt. Nahe liegt, dass eine vorausgegangene sachgerechte anwaltliche Beratung die Klägerin von einem Rechtsstreit abgehalten hätte und die Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO hätte vermeiden helfen. Insoweit mag das Urteil des AG Berlin-Schöneberg lehrreich sein.