Nachfolgend ein Beitrag vom 27.7.2017 von Theesfeld, jurisPR-MietR 15/2017 Anm. 5

Leitsätze

1. Ein Entschuldigungsgrund für die Nichtzahlung der Miete liegt vor, wenn der Mieter krankheitsbedingt – hier: im Koma liegend – die Miete nicht rechtzeitig zahlen konnte.
2. Erreichen die sonstigen über mehr als zwei Monate aufgebauten Mietrückstände nicht zwei Mieten, scheidet eine fristlose Kündigung aus.

A. Problemstellung

Die Parteien streiten noch um die Verfahrenskosten einer Räumungsklage. Das LG Hannover hatte in diesem Zusammenhang darüber zu entscheiden, ob die von einem Vermieter ausgesprochene fristlose Kündigung zu Recht erfolgt war.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Beklagte war seit mehreren Jahren Mieter einer Wohnung der Klägerin. Die monatliche Gesamtmiete betrug 560,06 Euro. Im Laufe des Mietverhältnisses hatte der Beklagte die jeweilige monatliche Miete nicht stets vollständig gezahlt; in den Monaten Mai 2011 bis September 2015 hatte sich ein Rückstand von insgesamt 606,30 Euro aufgebaut. Die Miete für den Monat Oktober 2015 zahlte der Beklagte zunächst nicht, woraufhin die Vermieterin am 07.10.2015 die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aussprach. Am 08.10.2015 wurde die Oktober-Miete gezahlt. Der Beklagte hatte am 09.09.2015 einen Hirninfarkt erlitten und lag zunächst für drei Wochen im Koma. Insgesamt befand er sich vom 09.09.2015 bis zum 04.02.2016 in stationärer Behandlung und war während dieser Zeit nicht in der Lage, seine finanziellen Angelegenheiten selbstständig zu regeln. Am 07.03.2016 erhob die Vermieterin Räumungsklage. Nach Zustellung der Klage glich der Beklagte sämtliche Mietrückstände aus, so dass die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärten. Das Amtsgericht hatte die Kosten des Verfahrens dem Beklagten auferlegt, wogegen dieser Beschwerde einlegte.
Die Beschwerde ist nach Ansicht des LG Hannover begründet.
Die Vermieterin habe zum Zeitpunkt der Klageerhebung mangels wirksamer außerordentlicher Kündigung keinen Räumungsanspruch gegen den Beklagten gehabt. Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung wegen Zahlungsrückstandes ergebe sich vorliegend nicht aus § 543 Abs. 2 Nr. 3a oder b BGB. Voraussetzung für ein Kündigungsrecht nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a BGB sei, dass entweder der Mieter mit der Entrichtung der Miete für zwei aufeinander folgende Termine oder zumindest mit einem nicht unerheblichen Teil der Miete in Verzug sei. Für Wohnraummietverhältnisse gelte darüber hinaus der speziellere § 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB. In dieser Vorschrift werde spezifiziert, dass erst dann ein nicht unerheblicher Mietrückstand i.S.d. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a BGB vorliege, wenn der rückständige Teil der Mieten mindestens eine Monatsmiete übersteige.
Zum Zeitpunkt der Kündigung am 07.10.2015 habe allerdings kein Mietrückstand vorgelegen, welcher aus zwei aufeinander folgenden Terminen einen Mietrückstand in Höhe einer Monatsmiete erreicht hätte.
Denn der Beklagte habe sich mit der Miete für den Oktober 2015 zum Zeitpunkt der ausgesprochenen Kündigung nicht in Verzug befunden. Gemäß § 286 Abs. 4 BGB setze Verzug immer voraus, dass der Schuldner die Nichtleistung zu vertreten habe. Vorliegend liege allerdings seitens des Beklagten ein Entschuldigungsgrund für die nicht rechtzeitige Zahlung der Oktober-Miete vor. Zu diesem Zeitpunkt sei der Beklagte schwer erkrankt und deshalb nicht selbst in der Lage gewesen, seine Mietschulden rechtzeitig zu bezahlen. Dass eine schwere Erkrankung ein unverschuldetes tatsächliches Leistungshindernis vorübergehender Natur darstelle, sei in der Rechtsprechung allgemein anerkannt (vgl. Palandt, BGB, 75. Aufl., 2016, § 286 Rn. 33). Wenn man diesen Mietrückstand allerdings nicht mitberücksichtige, so erreichten die weiteren rückständigen Mieten zwar insgesamt einen Betrag, welcher eine Monatsmiete übersteige, sie seien allerdings nicht in lediglich zwei aufeinander folgenden Terminen angefallen. Dies sei jedoch Voraussetzung des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3a BGB. Wenn der Mietrückstand nämlich nicht in lediglich zwei aufeinander folgenden Terminen, sondern in mehr Terminen erreicht werde, so bestehe ein Kündigungsgrund nur nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b BGB. Nach dieser Vorschrift sei allerdings erforderlich, dass, wenn der Rückstand sich über mehr als zwei Termine erstrecke, ein Rückstand i.H.v. insgesamt zwei Monatsmieten erreicht sei.

C. Kontext der Entscheidung

Gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3a BGB kann der Vermieter außerordentlich kündigen, wenn der Mieter für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete oder eines nicht unerheblichen Teils der Miete in Verzug ist. Liegen Mietrückstände und damit die Voraussetzung des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB vor, sind – anders als bei der ordentlichen Kündigung – die persönlichen Umstände des Mieters oder ein Verschulden grundsätzlich nicht von Belang. Es ist daher beispielsweise auch unerheblich, wenn der Mieter nicht zahlen konnte, weil er auf Sozialleistungen angewiesen ist, diese auch rechtzeitig beantragt hat, der Sozialhilfeträger aber nicht geleistet hat (BGH, Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 175/14 – NJW 2015, 1296; BGH, Urt. v. 29.06.2016 – VIII ZR 173/15 – NJW 2016, 2805). Kann der Mieter also aufgrund fehlender Zahlungsfähigkeit die Miete nicht entrichten und kommt er deshalb nach dem Grundsatz „Geld hat man zu haben“ mit der Mietzahlung in den in § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB genannten Höhe verschuldensunabhängig in Verzug, kann der Vermieter durchaus zur außerordentlichen Kündigung berechtigt sein. Der BGH begründet dies mit der im Rahmen des § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlichen Gesamtabwägung; diese kann auch unabhängig von einem Verschulden des Mieters an den unpünktlichen Zahlungen zu dessen Lasten ausfallen. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn zahlreiche Zahlungsverspätungen aufgetreten sind, diese jeweils einen längeren Zeitraum und erhebliche Beträge betreffen oder der Vermieter in besonderem Maße auf die pünktliche Mietzahlung angewiesen ist. Entscheidend sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
Der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ besagt jedoch lediglich, dass dort, wo laut Gesetz bestimmte Rechtsfolgen vom Vertretenmüssen einer Pflichtverletzung abhängig sind, die mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit an sich den Schuldner nicht entlastet. Dies bedeutet aber nicht, dass der Schuldner für die rechtzeitige Erfüllung einer Geldschuld stets und unter allen Umständen verschuldensunabhängig einzustehen hat.

D. Auswirkungen für die Praxis

Im Grunde enthält die vom LG Hannover getroffene Entscheidung keine praxisrelevanten Neuheiten. Ein Räumungsanspruch des Vermieters gegen den Mieter gemäß § 546 BGB liegt nur dann vor, wenn der Vermieter wirksam gekündigt hat, was im Falle des Zahlungsrückstandes gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB nur dann der Fall ist, wenn der Schuldner mit der Zahlung i.S.v. § 286 BGB im Verzug war. Zu beachten ist dabei, dass der Verschuldensmaßstab bei rückständigen Mietforderungen sich nach der allgemeinen Vorschrift des § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB richtet. Es kommt damit auf die Umstände des Einzelfalls an. Vor Erhebung einer Räumungsklage sollten diese wegen des nicht unerheblichen Prozessrisikos vollumfänglich geprüft werden, wie die Entscheidung zeigt.