Nachfolgend ein Beitrag vom 25.08.2016 von Theesfeld, jurisPR-MietR 17/2016 Anm. 6

Leitsatz

Ein gemäß § 126a StPO einstweilen Untergebrachter hat nach der gegenwärtigen Rechtslage gegenüber dem Vollzugsträger keinen Anspruch auf die Gewährung eines Taschengeldes oder die Übernahme der Kosten für seine Mietwohnung.

A. Problemstellung

Der Fall wirft die Frage auf, wer für die Dauer einer Unterbringung für die laufenden Mietkosten der Unterkunft aufkommt. Dem Inhaftierten kann nach Haftentlassung Obdachlosigkeit drohen, wenn er nicht in seine Wohnung zurückkehren kann. Angesichts der regelmäßig kurzen Kündigungsfrist nach § 573c Abs. 1 BGB droht hier bereits innerhalb weniger Wochen ein Wohnungsverlust.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Antragsteller ist auf der Grundlage eines Unterbringungsbefehls einstweilig gemäß § 126a StPO in einem Maßregelvollzugszentrum untergebracht. Er hatte beim Vollzugsträger u.a. die Übernahme der nicht näher bezifferten Kosten seiner Mietwohnung beantragt.
Das OLG Braunschweig hat den Antrag des Untergebrachten auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Maßregelvollzugszentrums als unzulässig verworfen. Darüber hinaus wäre der Antrag auch unbegründet.
Dem Antragsteller stehe gegen den Vollzugsträger kein auf die Gewährung von Sozialleistungen gerichteter Anspruch zu. Das Nds. MVollzG enthalte keine rechtliche Grundlage, die es der Vollzugseinrichtung erlaube, die beantragten Sozialleistungen zu gewähren. § 11 Nds. MVollzG sehe zwar die Gewährung von Taschengeld als Sozialleistung vor. Diese Norm gelte allerdings nur für die Personen, die von dem Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst seien. Nach § 1 Nds. MVollzG regele das Gesetz den Vollzug der durch strafrichterliche Entscheidung angeordneten freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt (Unterbringung). Bei der Unterbringung nach § 126a StPO handele es sich jedoch nicht um eine Maßregel der Besserung und Sicherung, sondern lediglich um eine Sicherungsmaßnahme, die dem Ziel diene, eine strafrichterliche Maßregelentscheidung in einem prozessordnungsgemäßen Verfahren erst zu ermöglichen. Eine Verweisungsnorm, die die ergänzende Heranziehung des Maßregelvollzugsgesetzes in Niedersachsen auch für einstweilig Untergebrachte vorsieht, fehle.

C. Kontext der Entscheidung

Dem Antragsteller ging es im vorliegenden Fall nicht um die Übernahme von Mietschulden, sondern um die Übernahme laufender und zukünftiger Mietkosten. Ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II scheidet gemäß § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II aus. Während einer gerichtlich angeordneten Unterbringung im Rahmen des Maßregelvollzuges (§ 64 StGB) greift in der Regel der Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II. § 7 Abs. 4 SGB II enthält eine gesetzliche Fiktion, wonach der eigentlich erwerbsfähige Hilfebedürftige als erwerbsunfähig anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen ist. Diese gesetzliche Fiktion kann nur durch tatsächliche Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II; LSG Stuttgart, Urt. v. 22.03.2016 – L 13 AS 4877/13).
In Betracht kommt ggf. noch eine Darlehensgewährung durch den Leistungsträger nach dem SGB II gemäß § 22 Abs. 8 SGB II nach Haftentlassung. Durch die Nachzahlung der Rückstände wird jedoch insbesondere eine ordentliche Kündigung nicht zwingend unwirksam, §§ 543 Abs. 2 Satz 2, 569 Ab. 3 Nr. 2 BGB (BGH, Urt. v. 10.10.2012 – VIII ZR 107/12). Die Frage, ob der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, indem er in einem zur fristlosen Kündigung berechtigendem Ausmaß mit der Mietzahlung deshalb in Verzug ist, weil die Kosten der Unterkunft nicht (rechtzeitig) vom Jobcenter oder Sozialamt gezahlt worden sind (vgl. hierzu AG Lichtenberg, Urt. v. 19.12.2013 – 17 C 33/13 Rn. 22; BGH, Urt. v. 21.10.2009 – VIII ZR 64/09; LSG Essen, Beschl. v. 19.05.2014 – L 19 AS 805/14 B ER m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.07.2014 – L 10 AS 1393/14 B ER), ist jüngst vom BGH dahingehend beantwortet worden, dass das Ausbleiben existenznotwendiger Sozialleistungen dem Verzug des Mieters nicht entgegensteht (BGH, Urt. v. 04.02.2015 – VIII ZR 175/14).
Als einzige Anspruchsgrundlage kommt eine Wohnungshilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67, 68 SGB XII in Betracht (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 04.05.2010 – L 23 SO 46/10 B ER Rn. 13; BSG, Urt. v. 12.12.2013 – B 8 SO 24/12 R – SozR 4-3500 § 67 Nr. 1).
Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Hieraus ergibt sich ein Rechtsanspruch und nicht nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 67 Rn. 4). Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Lebensverhältnisse wird in § 1 Abs. 2 der Verordnung zu § 69 SGB XII anhand der dort genannten Beispiele konkretisiert. Danach bestehen besondere Lebensverhältnisse bei Personen, die aus einer geschlossenen Einrichtung entlassen werden. Dies betrifft auch die Entlassung aus der Haft. Insoweit ist die Hilfe zur Erhaltung der Wohnung (§ 4 VO) auch präventiv, weil sie im Hinblick auf eine bevorstehende, konkret abzusehende Entlassung erforderlich ist (vgl. LSG München, Beschl. v. 17.09.2009 – L 18 SO 111/09 B ER).
Nach § 1 Abs. 3 VO liegen soziale Schwierigkeiten dann vor, wenn ein Leben in der Gemeinschaft durch ausgrenzendes Verhalten des Hilfesuchenden oder eines Dritten wesentlich eingeschränkt ist, u.a. im Zusammenhang mit Straffälligkeit. Soziale Schwierigkeiten allein und damit Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art reichen nicht aus. Die sozialen Schwierigkeiten müssen vielmehr von einer solchen Intensität sein, dass dem Betroffenen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft nicht nur vorübergehend entweder nicht oder nur erheblich eingeschränkt möglich ist (Schoenfeld in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, Komm., 2. Aufl. § 67 Rn. 10 m.w.N.).
Hiervon ist dann auszugehen, wenn dem Betroffenen z.B. nach Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe die ungewohnte eigenverantwortliche Lebensführung tiefgreifende Probleme bereiten würde oder wenn die Art seines Vergehens zu einer dauerhaften gesellschaftlichen Ächtung mit entsprechenden Folgen führen würde. Dabei können nicht nur Umstände im Zusammenhang mit dem Verlust der alten Wohnung, sondern auch nicht zuletzt finanzielle Aspekte bei der Beschaffung neuen Wohnraums von Bedeutung sein, wie etwa die allgemeine Situation auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, finanzielle Nachteile in Form von Mahnkosten und Zinsen direkt aus dem Mietverhältnis und Versorgungsverträgen, die fortwirkende Störung des Vertrauensverhältnisses bezogen auf das Miet- als Dauerschuldverhältnis, Kosten der (einer) Räumungsklage, Umzugskosten ggf. Einlagerungskosten, Verlust von sozialen Bindungen etc. Teilweise wird argumentiert, dass es sich bei Schwierigkeiten, bei bestehenden Mietschulden neuen Wohnraum anzumieten, um Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art handelt; drohender Wohnungsverlust nach einer Haftentlassung dürfte jedoch im Grundsatz zu den „besonderen Lebensumständen mit sozialen Schwierigkeiten“ i.S.d. § 67 SGB XII gehören, weil der Verlust der Wohnung ähnlich dem Verlust des Arbeitsplatzes für einen Haftentlassenen deutlich schwerer zu kompensieren ist als für andere Bürger, selbst dann, wenn der aus der Haft Entlassene nicht auf existenzsichernde Leistungen angewiesen ist.

D. Auswirkungen für die Praxis

In derart gelagerten Fällen sollte vom Betroffenen ein Antrag auf einstweilige Anordnung auf vorläufige Leistungsgewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe der Unterkunftskosten nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) gestellt werden. Im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes dürfte ein solcher Antrag sachgerecht sein. Dem Betroffenen drohen ohne einstweiligen Rechtsschutz schwerwiegende Nachteile, die durch ein Hauptsacheverfahren nicht mehr abgewendet werden können. Als Grundlage des geltend gemachten Anspruchs kommen (vorrangig) die §§ 67, 68 SGB XII in Betracht. Nach § 67 Satz 1 SGB XII haben Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, einen Anspruch auf Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind.