Nachfolgend ein Beitrag vom 16.6.2016 von Both, jurisPR-MietR 12/2016 Anm. 4

Leitsätze

1. Zur konkludenten Vereinbarung der Anwendung der gesetzlichen Vorschriften des Wohnraummietrechts auf einen Gewerberaummietvertrag.
2. Ein der äußeren Form des § 126 BGB entsprechender Gewerberaummietvertrag genügt der schriftlichen Form des § 550 Satz 1 BGB auch dann, wenn die Mietvertragsurkunde im Ganzen oder hinsichtlich einzelner Regelungen auslegungsbedürftig ist, sofern der Wille der Vertragsparteien in der Vertragsurkunde zumindest angedeutet ist. Erforderlich ist dazu lediglich, dass sich die Richtung des rechtsgeschäftlichen Willens dem Grunde nach aus der Urkunde entnehmen lässt; einer über dieses Maß der bloßen Willensandeutung hinausgehenden „Bestimmbarkeit“ bedarf es nicht.
3. Die Auslegung einer den Anforderungen des § 550 Satz 1 BGB genügenden Vertragsurkunde erfolgt nicht nur aus sich selbst heraus, sondern unter Zugrundelegung sämtlicher Auslegungsparameter der §§ 133, 157 BGB.

A. Problemstellung

In seiner Entscheidung greift das LG Berlin zwei Problemkreise auf. Zum einen befasst es sich mit der Frage, ob auf ein Mietverhältnis die Anwendung des Wohnraummietrechts von den Vertragsparteien vereinbart worden ist oder ob für das Vertragsverhältnis Gewerberaummietrecht gilt. Die Auslegungsbedürftigkeit des Vertrages hat dem Landgericht Anlass geboten, zu der Frage Stellung zu nehmen, welche Anforderungen an die Bestimmbarkeit einer Vereinbarung zu stellen sind, damit die Vereinbarung noch das Schriftformerfordernis des § 550 BGB erfüllt.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Parteien streiten über die Räumung und Herausgabe einer von der Rechtsvorgängerin der Klägerin an den beklagten Verein im Jahre 2009 zum „Zweck des Wohnens psychisch kranker Menschen“ vermieteten Wohnung, der die Anmietung weiterer neun Wohnungen zum nämlichen Zweck im Jahre 2008 vorausgegangen war.
Die Klägerin hielt Gewerberaummietrecht für anwendbar und erklärte wiederholt die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses. Der Beklagte ist der Auffassung, mangels Kündigungsgrundes sei keine der ausgesprochenen Kündigungen wirksam und die Klage abzuweisen. Es handele sich bei dem geschlossenen Vertrag um einen Wohnraummietvertrag, zumindest aber sei die Anwendung der Vorschriften des Wohnraummietrechts vereinbart.
Das LG Berlin hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen: Es hat eine Beendigung des Mietverhältnisses durch eine der Kündigungen der Klägerin verneint.
Im Ausgangspunkt allerdings noch zutreffend sei das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Parteien nicht über einen Wohn-, sondern einen Gewerberaummietvertrag miteinander verbunden seien. Daran ändere die Vertragsüberschrift „Wohnraummietvertrag“ ebenso wenig wie ein etwaig entgegenstehender Wille der Vertragsparteien. Maßgebend sei allein der Vertragszweck, also die gemeinsamen und übereinstimmenden Vorstellungen der Vertragsparteien darüber, wie das Mietobjekt genutzt werden solle und welche Art der Nutzung im Vordergrund stehe. Ausweislich der Präambel des schriftlichen Mietvertrages und des übereinstimmenden Sachvortrages beider Parteien sollte die streitgegenständliche Wohnung von dem Beklagten nicht selbst genutzt, sondern an psychisch kranke Menschen überlassen werden. Die Zwischenvermietung oder die sonstige Gebrauchsüberlassung an Dritte stellten einen gewerblichen Vertragszweck dar. Die Vertragsparteien eines Gewerberaummietvertrages könnten das Recht des Vermieters zur ordentlichen Kündigung wirksam abbedingen, indem sie den gesamten Vertrag dem Schutz des sozialen Mietrechts unterwerfen. Die Geltung der Mieterschutzvorschriften der §§ 573 ff. BGB für ein Gewerberaummietverhältnis könne ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten der Parteien mit der Folge vereinbart werden, dass der gesetzliche Kündigungsschutz der §§ 573 ff. BGB für den Vertrag maßgebend sein solle. Maßgeblich sei der wirkliche Wille der Vertragsparteien, bei dessen Ermittlung neben dem Erklärungswortlaut die beiderseits bekannten Umstände wie insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, deren Zweck sowie die Interessenlage der Vertragsparteien heranzuziehen seien.
Vorliegend hätten sich die Parteien auf die Abbedingung des gewerblichen Kündigungsrechts und die Geltung der gesetzlichen Vorschriften für ein Wohnraummietverhältnis geeinigt. Das folge zunächst aus dem Erklärungswortlaut der Mietvertragsurkunde, die mit deutlicher graphischer Hervorhebung als „Wohnraum-Mietvertrag“ überschrieben sei. Die Bezeichnung des Mietverhältnisses in der Überschrift des verwandten Vertragsformulars sei nicht nur für die Frage des vorherrschenden Vertragszweckes bei einem Mischmietverhältnis von Bedeutung, sondern auch für die Ermittlung des Parteiwillens hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften des Wohnraummietrechts auf ein bestehendes Gewerberaummietverhältnis.
§ 1 des Mietvertrages mache detaillierte und umfangreiche Ausführungen zum Mietgegenstand, so dass dadurch das gesamte Mietverhältnis dem gewerblichen Vertragszweck zuwider den Vorschriften des Wohnraummietrechts unterstellt werden sollte. Die Vertragsparteien hätten im schriftlichen Mietvertrag im Einklang mit der Vertragsüberschrift ausdrücklich allein auf die Anwendung wohnraummietrechtlicher Vorschriften abgestellt, indem § 2 Abs. 2 Satz 4 des Vertrages die §§ 558 bis 559b BGB und § 5 die gesetzliche Regelung des § 556 Abs. 1 BGB in Bezug nehme. Der Verweis auf die §§ 558 ff. BGB setze mangels sprachlicher Einschränkung die Anwendung des gesamten Wohnraummietrechts voraus.
Keine der Klägerin günstigere Auslegung des Erklärungswortlauts folge schließlich aus dem Umstand, dass die Vertragsparteien in den §§ 2 und 12 des schriftlichen Mietvertrages, die beide – von der genannten Ausnahme in § 2 Abs. 2 Satz 4 abgesehen – wertungsneutral die Beendigung des Mietverhältnisses betreffen, die Geltung der §§ 573 ff. BGB nicht ausdrücklich angeordnet haben. Zwar spreche die Verwendung eines Formulars, das die maßgebenden Kündigungsschutzvorschriften wiedergebe, in der Regel für eine rechtsgeschäftliche Einbeziehung des Wohnraummietrechts. Fehle eine entsprechende Wiedergabe, folge daraus aber nicht zwingend im Umkehrschluss, dass die Parteien die Anwendung des Wohnraummietrechts nicht vereinbart haben, insbesondere wenn sich dessen Vereinbarung wie im vorliegenden Fall aus dem sonstigen Erklärungsinhalt der Vertragsurkunde oder unter Anwendung der verbleibenden Auslegungsparameter der §§ 133, 157 BGB ergebe. Dieses Ergebnis folge erst recht aus der Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten und des verfolgten wirtschaftlichen Zwecks.

C. Kontext der Entscheidung

Zwar trifft zu, dass der soziale Kündigungsschutz des Wohnraummietrechtes auch für ein Gewerberaummietverhältnis vereinbart werden kann, da die Parteien im Gewerberaummietrecht in ihrer Vereinbarung weitestgehend frei sind (BGH, Urt. v. 13.02.1985 – VIII ZR 36/84; KG Berlin, Urt. v. 27.08.2015 – 8 U 192/14). Uneingeschränkt kann dies wiederum auch nicht gelten, denn eine Kündigung wegen Eigenbedarfes im Gewerberaummietrecht bedürfte einer entsprechenden Auslegung.
Wenn die Vertragsparteien solche Vereinbarungen aber treffen wollen, sollten sie dies hinreichend deutlich tun. Der vom LG Berlin beurteilte Vertrag enthielt offenbar kein Wort zur Kündigung. Allein aus der Vereinbarung der Geltung der §§ 558 ff. BGB auf die Geltung des besonderen Kündigungsschutzes zu schließen, ist schon eine gewagte Vertragsauslegung. Die Vereinbarung legt zunächst erst einmal lediglich nahe, dass die Parteien auf die Möglichkeit der Änderungskündigung verzichten wollten oder sich überhaupt die Möglichkeit der Mietanpassung im laufenden Mietverhältnis eröffnen wollten.
Die vom Landgericht gefundene Auslegung ließe sich allenfalls unter dem Gesichtspunkt der beteiligten Interessen rechtfertigen. Da die Beklagte die Wohnungen zur Weitervermietung an psychisch Kranke zum Wohnen angemietet hat, stellt das Mietverhältnis zur Klägerin ein Zwischenmietverhältnis i.S.d. § 565 BGB dar. Würde das Mietverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten sein Ende finden, würde die Klägerin in das Mietverhältnis zu den Endmietern eintreten. Die Beklagte könnte ihrem gemeinnützigen Zweck zwar nicht mehr genügen, die Endmieter verlören aber ihren sozialen Mieterschutz nicht. Allerdings wäre die Klägerin an die Mietverhältnisse mit psychisch Kranken gebunden, was deren Interesse nicht entsprechen dürfte. Daher kann es im Einzelfall einer interessengerechten Vertragsauslegung entsprechen, ein uneingeschränktes ordentliches Kündigungsrecht zu verneinen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Bei derartigen Fallkonstellationen sollten die Vertragsparteien durchaus Mühe auf die Gestaltung ihres Vertrages verwenden, denn die vom jeweiligen Gericht interessenorientiert gesuchte Vertragsauslegung dürfte häufiger überraschend sein.

E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung

Das LG Berlin nahm weiterhin umfassend zur Frage Stellung, welche Anforderungen an die Bestimmbarkeit vertraglicher Regelungen zu stellen sind, um noch dem Schriftformerfordernis des § 550 BGB zu genügen. Der Grundsatz der Bestimmbarkeit erfordere, dass der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille der Parteien in der Urkunde einen, wenn auch nur unvollkommenen, Ausdruck gefunden haben muss. Die Grenze bei der Berücksichtigung dieser Umstände ist nach der sog. Andeutungstheorie erst dort überschritten, wo der beurkundete Text die Richtung des rechtsgeschäftlichen Willens nicht einmal dem Grunde nach erkennen lässt. Über diese bloße Andeutung der übereinstimmenden Willensrichtung in der Vertragsurkunde, die noch nicht aus sich selbst heraus, sondern erst im Ergebnis nach Heranziehung der außerhalb der Urkunde liegenden Umstände zur Auslegung des aus sich heraus mehrdeutigen, unklaren, lediglich angedeuteten und damit auslegungsbedürftigen verschriftlichten Willens führt, geht die für die Wahrung der Schriftform des § 550 BGB verlangte „Bestimmbarkeit“ des Vertragsinhalts nicht hinaus. Das entspricht den Bemühungen, die Anforderungen an die Schriftform immer weiter zurückzufahren. Es hätte dieser Ausführungen allerdings nicht bedurft, war das LG Berlin doch zu der Erkenntnis gekommen, dass eine wirksame Kündigung aus anderen Gründen nicht vorgelegen hatte.