Nachfolgend ein Beitrag vom 24.11.2017 von Geisler, jurisPR-BGHZivilR 22/2017 Anm. 1
Leitsätze
1. Die Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB setzt einen erheblichen Nachteil beim Vermieter selbst voraus; ein Nachteil bei einer mit der vermietenden Gesellschaft persönlich und wirtschaftlichen verbundenen „Schwestergesellschaft“ reicht insoweit nicht aus.
2. Zum Erfordernis einer konkreten Darlegung eines „erheblichen Nachteils“ des Vermieters bei der Verwertungskündigung.
A. Problemstellung
Der Vermieter kann ein Wohnmietverhältnis nur kündigen, wenn er an dessen Beendigung ein berechtigtes Interesse hat, wozu allein eine begehrte Mieterhöhung nicht ausreicht. Ein berechtigtes Interesse des Vermieters ist nach § 573 Abs. 2 BGB regelmäßig gegeben, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat, der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt oder der Vermieter durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde. Der BGH musste sich mit der Frage befassen, unter welchen Voraussetzungen die Kündigung wegen beabsichtigter wirtschaftlicher Verwertung des Grundstücks nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB wirksam ist.
B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagten haben im Jahr 2012 von der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine 7-Zimmer-Wohnung gemietet; die monatliche Nettomiete für die rund 190 qm große Wohnung beläuft sich auf 850 Euro. Die Klägerin, die V-KG, hat das Anwesen, in dem die Wohnung liegt, im Jahr 2015 erworben und ist dadurch in den Mietvertrag mit den Beklagten eingetreten. Sie ist überdies Eigentümerin des mit Gewerberäumen bebauten Nachbargrundstücks, das sie an die S-KG verpachtet hat, die dort ein Modehaus betreibt. Beide Gesellschaften sind persönlich und wirtschaftlich miteinander verbunden.
Mit Schreiben vom 29.06.2015 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB und begründete dies damit, das gesamte Gebäude abreißen zu wollen, um ein Objekt mit Gewerberäumen zur Erweiterung des benachbarten Modehauses zu errichten. Selbst unter Berücksichtigung der Investitionskosten sei durch die langfristige Verpachtung an die S-KG ein deutlich höherer Ertrag zu erwirtschaften als bei Fortführung der bisherigen Mietverhältnisse.
Die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Der BGH hat auf die Revision der Beklagten das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Der BGH ging davon aus, dass die Kündigung unwirksam sei, weil der Klägerin – jedenfalls aufgrund der in dem Kündigungsschreiben aufgeführten Gründe – bei Fortbestand des Mietverhältnisses keine erheblichen Nachteile i.S.v. § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB drohten. Die gegenteilige Auffassung des Berufungsgerichts beruhe auf einer grundlegenden Verkennung der bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Verwertungskündigung zu berücksichtigenden Belange.
Der Abriss des Gebäudes zur Erweiterung des benachbarten Modehauses stelle zwar eine von vernünftigen sowie nachvollziehbaren Erwägungen getragene und mithin angemessene wirtschaftliche Verwertung des betreffenden Grundstücks dar. Allerdings sei eine Verwertungskündigung nur unter der zusätzlichen (hohen) Voraussetzung zulässig, dass dem Eigentümer durch den Fortbestand des Mietverhältnisses andernfalls ein „erheblicher“ Nachteil entstehen würde. Bei der Beurteilung dieser Frage müssten die Gerichte stets beachten, dass nicht nur die Rechtsposition des Vermieters, sondern auch das vom Vermieter abgeleitete Besitzrecht des Mieters von der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie geschützt sei. Vor diesem Hintergrund gewähre das Eigentum dem Vermieter keinen uneingeschränkten Anspruch auf Gewinnoptimierung oder Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeit, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil verspricht. Auf der anderen Seite dürfen die dem Vermieter bei Fortbestand des Mietverhältnisses entstehenden Nachteile auch keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen. Insbesondere darf das Kündigungsrecht des Eigentümers bei einer Verwertungskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB nicht auf Fälle andernfalls drohenden Existenzverlusts reduziert werden.
Das Berufungsgericht habe bei der Bejahung erheblicher Nachteile für die Klägerin maßgeblich auf die langfristige Sicherstellung von Mieteinnahmen sowie auf die „existentielle“ Bedeutung der Erweiterung für das Modehaus abgestellt. Allerdings habe das Landgericht tatsächliche Umstände, die eine solche Beurteilung tragen, nicht ansatzweise festgestellt – sondern sich insoweit lediglich auf den nicht näher konkretisierten Vortrag der Klägerin gestützt. Diese oberflächliche und pauschale Betrachtungsweise des Berufungsgerichts liefe letztlich darauf hinaus, einen zur Kündigung berechtigenden Nachteil schon dann zu bejahen, wenn der Eigentümer einer vermieteten Wohnung mit dieser – im Interesse einer möglichen bloßen Gewinnoptimierung – nicht nach Belieben verfahren könne. Dies werde jedoch den (hohen) gesetzlichen Anforderungen an eine Verwertungskündigung nicht gerecht.
Weiterhin seien bei einer Verwertungskündigung – anders als etwa bei einer Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB – nach dem eindeutigen Wortlaut des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB allein solche (erheblichen) Nachteile zu berücksichtigen, die dem Vermieter selbst entstehen. Bei der das Modehaus betreibenden KG handele es sich aber um eine von der Klägerin verschiedene Personengesellschaft. Daran vermöge auch die persönliche und wirtschaftliche Verflechtung der Gesellschaften nichts zu ändern. Außerdem könnten gemäß § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung (soweit sie nicht nachträglich entstanden sind) nur solche Gründe Berücksichtigung finden, die im Kündigungsschreiben angegeben wurden. Hier hatte die Klägerin jedoch die Interessen ihrer Schwestergesellschaft an einer Sicherung ihrer Existenzgrundlage in dem Kündigungsschreiben nicht einmal ansatzweise aufgeführt. Bereits aus diesem Grund komme auch eine Berücksichtigung dieser Drittinteressen über die Generalklausel des § 573 Abs. 1 BGB nicht in Betracht.
Da noch Feststellungen zu den weiteren von der Klägerin ausgesprochenen Kündigungen wegen Vertragsverletzungen zu treffen sind, hat der BGH die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
C. Kontext der Entscheidung
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Der BGH hat die Voraussetzungen aufgezeigt, die bei der nach § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Verwertungsinteresse des Vermieters und dem Bestandsinteresse des Mieters zu beachten sind.
Der Abriss des (Miet-)Gebäudes zwecks Erweiterung eines benachbarten Geschäfts und dem Ziel höherer Pachteinnahmen ist zwar eine alsbaldige angemessene wirtschaftliche, hinreichend konkretisierte Verwertung und keine unzulässige bloße Vorratskündigung. An die vom Vermieter bei Fortbestand des Mietverhältnisses drohenden erheblichen Nachteile legt der BGH strenge Maßstäbe an.
Gerade die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) schützt das Bestandsinteresses des Mieters in besonderer Weise und versagt dem Vermieter einen Anspruch auf Gewinnoptimierung oder auf Einräumung gerade der Nutzungsmöglichkeit, die den größtmöglichen wirtschaftlichen Vorteil verspricht. Deshalb begründet nicht bereits jeder aus dem Fortbestand des Mietverhältnisses dem Vermieter erwachsende wirtschaftliche Nachteil einen Anspruch des Vermieters auf Räumung der Mietwohnung (so schon BGH, Urt. v. 29.03.2017 – VIII ZR 45/16 Rn. 40).
Andererseits dürfen die dem Vermieter entstehenden Nachteile keinen Umfang annehmen, welcher die Nachteile weit übersteigt, die dem Mieter im Falle des Verlustes der Wohnung erwachsen (vgl. BGH, Urt. v. 28.01.2009 – VIII ZR 8/08 Rn. 14; BGH, Urt. v. 09.02.2011 – VIII ZR 155/10 Rn. 19; BGH, Urt. v. 08.06.2011 – VIII ZR 226/09 Rn. 11; BGH, Urt. v. 29.03.2017 – VIII ZR 45/16; BGH, Urt. v. 10.05.2017 – VIII ZR 292/15 Rn. 45). Die Verwertungskündigung darf deshalb nicht auf die Fälle eines drohenden Existenzverlusts reduziert oder so restriktiv gehandhabt werden, dass die Verwertung als wirtschaftlich sinnlos erscheint (so schon BGH, Urt. v. 29.03.2017 – VIII ZR 45/16; BGH, Urt. v. 10.05.2017 – VIII ZR 292/15 Rn. 45 m.w.N.).
D. Auswirkungen für die Praxis
Da die im Rahmen des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB erforderliche Abwägung zwischen dem grundsätzlichen Bestandsinteresse des Mieters und dem Verwertungsinteresse des Eigentümers keine generalisierende Betrachtung erlaubt, werden hohe Anforderungen an den Sachvortrag des einen Vermieter vertretenden Anwalts gestellt. Er hat substantiiert darzulegen, dass der Vermieter an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert ist und weshalb er dadurch erhebliche Nachteile erleidet. Das erfordert die Darlegung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere Vortrag zur konkreten Situation und zu den beim Vermieter eintretenden Nachteilen. Interessen eines personenverschiedenen Dritten sind unerheblich. Der Klägervertreter hat schließlich zu beachten, dass gemäß § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB (soweit sie nicht nachträglich entstanden sind) nur die in der Kündigungserklärung angegebenen Kündigungsgründe berücksichtigt werden können.
Auch der Vertreter des Mieters ist gefordert. Da § 573 Abs. 3 Satz 2 BGB allein auf das Interesse des Vermieters an der Vertragsbeendigung abstellt, findet keine (!) Abwägung des berechtigten Interesses des Vermieters mit entgegenstehenden – einfachrechtlichen – Belangen des Mieters statt. Die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall sind nur auf dessen Widerspruch nach § 574 BGB zu beachten (BGH, Rechtsentscheid in Mietsachen vom 20.01.1988 – VIII ARZ 4/87 Rn. 25, BGHZ 103, 91-101). Erst dann hat eine Abwägung der im Einzelfall gegebenen beiderseitigen Interessen stattzufinden.
E. Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Nach Zurückverweisung an das Berufungsgericht ist in der Regel der Spruchkörper zuständig, der bereits mit der Sache befasst war und das angefochtene Urteil erlassen hat. Bemerkenswert ist hier, dass der BGH von der selten praktizierten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Sache an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dies ist ausnahmsweise der Fall, wenn das Berufungsgericht in besonders eklatanter und/oder wiederholter Weise gegen höchstrichterliche Entscheidungen verstoßen hat und zu erwarten ist, dass dieser Verstoß sich nach Zurückverweisung wiederholt, also eine „Strafsanktion“ gegen das Berufungsgericht.
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