Nachfolgend ein Beitrag vom 25.1.2018 von Beyer, jurisPR-MietR 2/2018 Anm. 3

Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Die Entscheidung, ob die vom Vermieter beabsichtigte Nutzung als Zweitwohnung eine Kündigung wegen Eigenbedarfs rechtfertigt, hängt von der umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab.
2. Die Notwendigkeit einer einzelfallbezogenen Würdigung lässt allgemeinverbindliche Aussagen zum Tatbestandsmerkmal des „Benötigens als Wohnung“, etwa über eine konkrete „Mindestnutzungsdauer“, nicht zu.

A. Problemstellung

In die beachtliche Reihe der aktuellen BGH-Entscheidungen zu Eigenbedarfskündigungen reiht sich ein erst in November veröffentlichter Beschluss vom 22.08.2017 (VIII ZR 19/17 – WuM 2017, 721) ein, der – mal wieder – den stets heiklen Fall der beabsichtigten Nutzung einer vermieteten Wohnung als Zweitwohnung betrifft. Als heikel und diffizil erweisen sich diese Fallgestaltungen vor allem deshalb, weil hier zwei durch Art. 14 GG geschützte Rechtspositionen aufeinander treffen: das unmittelbare Eigentumsrecht des Vermieters und das nach der Rechtsprechung des BVerfG gleichwertige Besitzrecht des Mieters. Auf den Tatbestand des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB übertragen bedeutet dies: Begründet die beabsichtigte Nutzung als Zweitwohnung ohne weiteres, gewissermaßen „automatisch“ einen Eigenbedarf im Sinne dieser Vorschrift (dem der Mieter allenfalls den Härteeinwand des § 574 BGB entgegenhalten kann) oder sind hier nicht doch Grenzen zu ziehen, etwa im Hinblick auf die Tatbestandsmerkmale „als Wohnung“ oder des „Benötigens“? Insbesondere: Stellt etwa eine lediglich beruflich bedingte oder eine seltene, nur „sporadische“ Nutzung bereits einen „echten“ Eigenbedarf dar? Solche Fälle waren in der Vergangenheit Anlass für Grundsatzentscheidungen des für die Wohnraummiete zuständigen VIII. Zivilsenats des BGH, zuletzt sogar für einen Beschluss des BVerfG.
In dem vorliegenden Beschluss hat der BGH seine bisherige Rechtsprechung bestätigt; eine „Patentlösung“ vermag – zwangsläufig – auch diese Entscheidung nicht aufzuzeigen.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die Vermieterin hatte das Mietverhältnis für die in Berlin gelegene Wohnung mit der Begründung gekündigt, sie werde sich künftig „mehrfach im Jahr“ aus beruflichen Gründen für kürzere oder längere Zeit in Berlin aufhalten und wolle hierfür nicht mehr – wie in der Vergangenheit – auf eine Unterkunft im Hotel oder bei Bekannten zurückgreifen, sondern einen privaten Wohnbereich vorhalten, den sie – auch zusammen mit ihrem Ehemann – nutzen könne. Der Mieter hat der Kündigung widersprochen.
Das Berufungsgericht hatte die Eigenbedarfskündigung und die entsprechende Räumungsklage für begründet gehalten, jedoch die Revision zur grundsätzlichen Klärung der Frage, welcher zeitliche Rahmen für das Tatbestandsmerkmal des „Benötigens als Wohnung“ i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB maßgebend sei, zugelassen.
Der BGH hat in dem vorliegenden Hinweisbeschluss (§ 552a Satz 2 i.V.m. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO) einen Grund für die Zulassung der Revision ebenso verneint wie die zusätzlich zu prüfende Erfolgsaussicht der Revision.
1. Nutzung als Zweitwohnung als Grund für Eigenbedarfskündigung ist hinreichend geklärt: Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls
Unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung (BGH, Rechtsentscheid v. 20.01.1988 – VIII ARZ 4/87 – BGHZ 103, 91; BGH, Urt. v. 04.03.2015 – VIII ZR 166/14 – BGHZ 204, 216 Rn. 14-16) und einen Beschluss des BVerfG vom 23.04.2014 (1 BvR 2851/13 – NZM 2014, 624) hat der BGH zunächst ausgeführt, der Begriff des „Benötigens“ sei höchstrichterlich dahin geklärt, dass damit ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe des Vermieters vorausgesetzt werden, die Wohnung künftig selbst oder durch nahe Angehörige zu nutzen. Dies gelte auch für die beabsichtigte Nutzung als Zweitwohnung, wobei es maßgeblich auf die Umstände des Einzelfalls ankomme. Die erforderliche einzelfallbezogene Prüfung lasse allgemeinverbindliche Aussagen über die zeitliche „Ausfüllung“ des Tatbestandsmerkmals des „Benötigens“, etwa im Sinne einer konkreten Mindestnutzungsdauer der Zweitwohnung, nicht zu (Rn. 3; ebenso z.B. Lützenkirchen in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 573 BGB Rn. 27; Mössner in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 573 BGB Rn. 103).
Dabei verkenne das Gericht nicht, dass in der Kommentarliteratur vereinzelt auch die gegenteilige Auffassung vertreten werde, nach der eine Eigenbedarfskündigung nur dann begründet sei, wenn der Vermieter (oder eine andere privilegierte Person i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) in der betreffenden Wohnung seinen Lebensmittelpunkt begründen wolle (so z.B. Blank in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Aufl., § 573 Rn. 104). Die relevante Rechtsprechung der Berufungsgerichte erscheine einheitlich. Nach alledem bestehe auch insoweit kein Anlass für eine höchstrichterliche grundsätzliche Klärung dieser Frage (Rn. 4)
2. Eigenbedarf im konkreten Fall begründet; keine „Vorratskündigung“, keine geschäftliche Nutzung
Im konkreten Fall haben die Vorinstanzen den Eigenbedarf der Vermieterin zu Recht bejaht. Das Berufungsgericht sei aufgrund ihres detaillierten Tatsachenvortrages zu ihrer beruflichen und privaten Situation und ihrer persönlichen Anhörung zu dem Ergebnis gelangt, dass sie die ernsthafte Absicht habe, sich regelmäßig mehrfach im Jahr aus beruflichen Gründen für längere oder kürzere Zeiten in Berlin aufzuhalten und hierfür, anders als bisher, die Wohnung zu nutzen. Ein Fall einer – unzulässigen – bloßen „Vorratskündigung“ mit einem nur unbestimmten und noch nicht hinreichend konkreten Nutzungswunsch liege deshalb entgegen der Auffassung des Mieters nicht vor.
Der Einwand der Revision, im vorliegenden Fall gehe es ausschließlich um geschäftliche Interessen der Vermieterin, die Kündigung sei deshalb nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 29.03.2017 (VIII ZR 45/16 – NJW 2017, 2018; zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt) nur begründet, wenn der Vermieterin durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses „Nachteile von einigem Gewicht“ drohten, was hier nicht der Fall sei, greife nicht durch, denn die Vermieterin habe die Kündigung – berechtigterweise – auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB gestützt, weil sie die Wohnung tatsächlich zu Wohnzwecken nutzen wolle (Rn. 8).
Das Verfahren ist durch (unveröffentlichten) Zurückweisungsbeschluss des BGH rechtskräftig abgeschlossen worden.

C. Kontext der Entscheidung

1. Der Grundsatz: Auch die beabsichtigte Nutzung als Zweitwohnung ist Eigenbedarf i.S.d. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB
In dem – im vorliegenden Beschluss zitierten – Rechtsentscheid vom 20.01.1988 (VIII ARZ 4/87 – BGHZ 103, 91) hat der VIII. Senat des BGH erstmals den Begriff des Eigenbedarfs dahin definiert, dass seine Voraussetzungen erfüllt sind, wenn der Vermieter vernünftige, nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Wohnraums für sich oder eine begünstigte Person hat (Rn. 24). An diesem Grundsatz hat er in der Folgezeit unverändert festgehalten. Schwierigkeiten treten im konkreten Fall erfahrungsgemäß aber dann auf, wenn sich die Frage stellt, ob der Vermieter seinen Raumbedarf ohne weiteres auch in einer anderen, ihm zur Verfügung stehenden Wohnung (Alternativwohnung) befriedigen kann oder wenn er die vermietete Wohnung, wie im vorliegenden Fall, nicht als „Hauptwohnsitz“, sondern lediglich als Zweitwohnung nutzen will. Das BVerfG hat sich vor nicht allzu langer Zeit mit dieser Frage in einem Fall („Chefarztfall“) befasst, in dem es vordergründig darum ging, ob das Berufungsgericht (LG Berlin, Urt. v. 22.08.2013 – 67 S 121/12 – WuM 2013, 741 mit krit. Anm. von Artz, WuM 2013, 743) – zur Wahrung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter – die Revision hätte zulassen müssen, um die Voraussetzungen einer Eigenbedarfskündigung bei der beabsichtigten Nutzung als Zweitwohnung höchstrichterlich klären zu lassen (BVerfG, Beschl. v. 23.04.2014 – 1 BvR 2851/13 – NJW 2014, 2417, mit krit. Anm. von Wiek, WuM 2014, 402). Der Deutsche Mietgerichtstag e.V. hat dies in seiner damaligen Stellungnahme bejaht – im Gegensatz etwa zur Äußerung des VIII. Senats des BGH. Das BVerfG hat die Notwendigkeit einer Revisionszulassung insbesondere mit dem Argument verneint, die „in Rede stehende Rechtsfrage“ sei „einer abstrakten Beurteilung und allgemeinen Klärung nicht zugänglich. … Vielmehr hängt die Entscheidung von der allein dem Tatrichter obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalles ab“ (a.a.O. Rn. 30).
Die jüngere Instanzrechtsprechung ist wenig ergiebig. Das AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg hat in einem – noch nicht rechtskräftigen – Urteil vom 29.12.2016 (23 C 258/15 – WuM 2017, 158; die Berufung des Vermieters ist beim LG Berlin unter 65 S 64/17 anhängig) einen Eigenbedarf schon deshalb verneint, weil für die – auch geschäftlich bedingte („teilgewerbliche“) – Nutzung als Zweitwohnung eine Alternativwohnung zur Verfügung stehe (a.a.O., S. 159 unter A.a; S. 160 unter d)). In einem ähnlich gelagerten Fall hat das LG Freiburg die Kündigung daran scheitern lassen, dass die Vermieterin den angeblich dringenden Bedarf der Zweitwohnung (aus betrieblichen Gründen) nicht nachvollziehbar dargelegt habe (LG Freiburg, Urt. v. 05.02.2015 – 3 S 230/14 Rn. 10; nur in juris veröffentlicht).
2. Die maßgebenden Umstände des Einzelfalls
Die generelle, weit gefasste Bemerkung des BGH, allgemeinverbindliche Aussagen über die zeitliche „Ausfüllung“ des Tatbestandsmerkmals des „Benötigens“, etwa im Sinne einer konkreten Mindestnutzungsdauer der Zweitwohnung, ließen sich nicht finden, erscheint zwar recht großzügig, ist sachlich aber zweifellos gerechtfertigt. Allerdings wäre es hilfreich gewesen zu erfahren, in welchem ungefähren Umfang (Frequenz und Dauer) die Vermieterin sich in Berlin aufzuhalten gedenkt und was die Vorinstanzen, deren Entscheidungen (zuletzt LG Berlin, Urt. v. 19.01.2017 – 18 S 325/15) nicht veröffentlicht sind, hierzu nach dem „detaillierten Vortrag“ der Vermieterin festgestellt haben.
Immerhin dürfte so viel feststehen: Eine bloß sporadische, nur gelegentliche und eher „hotelähnliche“ Nutzung im Abstand mehrerer Wochen oder sogar Monate aus rein privatem Anlass erfüllt den Begriff des „Wohnens“, der eine gewisse Beständigkeit voraussetzt, nicht, und sie wird bei der vom BGH geforderten Abwägung der Umstände des Einzelfalls auch dem verfassungsrechtlich geschützten Bestandsinteresse des Mieters (Art. 14 Abs. 1 GG) nicht gerecht; andererseits ist es, wie der BGH zu Recht klarstellt, nicht erforderlich, dass der Vermieter dort seinen Lebensmittelpunkt einrichtet. Im Übrigen: Berufliche Belange fallen zweifellos stärker ins Gewicht als rein „touristische“ Interessen.
Als relevante Aspekte im Rahmen der notwendigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls kommen danach vor allem in Betracht:

• der Grund des Nutzungswunsches: die Pflege familiärer Kontakte; betriebliche oder berufliche Gründe, insbesondere die Vermeidung eines mehr oder weniger regelmäßigen „Pendelns“ zwischen (Haupt-)Wohnung und Arbeitsstätte oder andererseits nur „touristische“ Interessen;
• Entfernung und Erreichbarkeit des „Zielortes“ vom Hauptwohnsitz des Vermieters,
• Häufigkeit, Dauer oder Planbarkeit der beabsichtigten Nutzung: Wird die Wohnung zwar nur kurzfristig, aber nicht regelmäßig vorhersehbar, eher „spontan“ benötigt, fällt dies zweifellos zugunsten eines Eigenbedarfs ins Gewicht.

Dementsprechend ist die Instanzrechtsprechung durchweg einzelfallbezogen (Nachweise bei Blank in: Schmidt-Futterer, a.a.O.); allgemeingültige Grundsätze, etwa zu der im vorliegenden Fall aufgeworfenen Frage einer „Mindestnutzungsdauer“ oder zum Grund des Nutzungswunsches des Vermieters, lassen sich ihr nicht entnehmen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Als Ergebnis bleibt danach die für die Praxis nicht immer hilfreiche Einsicht, dass es tatsächlich auf die sorgfältig zu prüfenden und abzuwägenden Umstände des Einzelfalls ankommt, dass also eine rein zeitliche Grenzziehung im Sinne einer „Mindestnutzungsdauer“ nicht möglich ist und der Hintergrund des Nutzungswunsches – berufliche oder familiäre Verpflichtungen einerseits oder bloße Freizeitinteressen andererseits – zu berücksichtigen ist. So dürfte etwa der Wunsch des Vermieters, einmal im Jahr die Berliner Filmfestspiele zu besuchen, eine Eigenbedarfskündigung zum Zweck der Nutzung der betreffenden Wohnung als Zweitwohnung nicht rechtfertigen. Der vorliegende Beschluss macht aber einmal mehr deutlich, dass der BGH dem Nutzungswunsch des Vermieters im Zweifel den Vorrang einräumt.

Eigenbedarfskündigung für Nutzung als Zweitwohnung
Thomas HansenRechtsanwalt
  • Fachanwalt für Steuerrecht
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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