Nachfolgend ein beitrag vom 10.8.2017 von Schach, jurisPR-MietR 16/2017 Anm. 2

Orientierungssatz zur Anmerkung

§ 193 BGB ist bei der Berechnung der Karenzzeit nach § 573c Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar mit der Folge, dass wenn der letzte Tag der Kündigungsfrist auf einen Sonnabend fällt, an die Stelle dieses Tages der nächste Werktag tritt.

A. Problemstellung

Der VIII. Senat des BGH hat mit Urteil vom 27.04.2005 (VIII ZR 206/04 – NJW 2005, 2154) im Leitsatz festgehalten, dass bei der Berechnung der Karenzzeit von drei Werktagen, die den Parteien eines Wohnraummietvertrages zur Wahrung der Kündigungsfrist zusteht, der Sonnabend als Werktag mitzuzählen ist, wenn nicht der letzte Tag der Karenzfrist auf diesen Tag fällt. Zuvor hatte der III. Senat des BGH im Urteil vom 17.02.2005 (III ZR 172/04 – NJW 2005, 1354) im Leitsatz festgestellt, dass § 193 BGB auf Kündigungsfristen weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar sei (Fortführung von BGH, Urt. v. 28.09.1972 – VII ZR 186/71 – BGHZ 59, 265).
Das LG Berlin hatte nun den Fall zu entscheiden, in dem der Sonnabend der letzte Werktag der Karenzfrist war. Was nun?

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Der Mieter kündigte das Wohnraummietverhältnis mit Schreiben vom 29.03.2015. Die Kündigung ging am 07.04.2015 (Dienstag nach Ostern) bei dem Vermieter (Auswärtiges Amt) ein. Der Vermieter verlangte mit dem Argument, die Kündigung sei nicht innerhalb der Karenzzeit eingegangen, weil der dritte Werktag im April der Sonnabend (05.04.2015) gewesen sei, Mietzahlung bis einschließlich Juli 2015. Das Amtsgericht verurteilte antragsgemäß, wogegen der Mieter in die Berufung ging.
Das LG Berlin ist zum Ergebnis gekommen, dass der Mietzahlungsanspruch nur bis einschließlich Juni 2015 besteht und hat das angefochtene Urteil entsprechend abgeändert.
Der Zahlungsanspruch für den Monat Juli 2015 bestehe nicht, denn die Kündigung vom 29.03.2015 habe das Mietverhältnis zum 30.06.2015 beendet. Da der letzte Tag der Karenzzeit nach § 573c Abs. 1 Satz 1 BGB auf einen Sonnabend fiel, habe sich die Frist gemäß § 193 BGB verlängert mit der Folge, dass die Karenzfrist erst am folgenden Werktag, hier dem Dienstag nach Ostern, endete. Der BGH habe allerdings mit dem Urteil zu VIII ZR 206/04 eine vollständige Gleichstellung des Sonnabends mit Sonn- und Feiertagen ausgeschlossen. Der vorliegend gegebene Ablauf der Karenzfrist an einem Sonnabend eröffne jedoch die Anwendung des § 193 BGB, der den Sonnabend ausdrücklich in seinen Regelungsbereich einschließe.
Der III. Zivilsenat des BGH habe in einer Entscheidung über die Kündigung eines Sponsoringvertrags die (direkte und die analoge) Anwendung des § 193 BGB auf Kündigungsfristen – vorbehaltlich abweichender gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen – ausgeschlossen: Die Möglichkeit, mit einer bestimmten Frist zu einem bestimmten Tag zu kündigen, bedeute nicht, dass die Willenserklärung an einem bestimmten Tag abzugeben sei oder innerhalb einer bestimmten Frist abgegeben werden müsste; anders als etwa der Widerruf einer Vertragserklärung nach § 355 BGB diene die Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Kündigungsfristen zudem stets dem Schutz des Kündigungsgegners (vgl. BGH, Urt. v. 17.02.2005 – III ZR 172/04 – NJW 2005, 1354).
Der VIII. Zivilsenat des BGH habe die Frage, ob § 193 BGB im Rahmen des Wohnraummietrechts, insbesondere auf die Karenzfrist nach § 573c Abs. 1 Satz 1 BGB anwendbar ist mit der Folge, dass diese sich verlängere, wenn der letzte Tag der Frist – wie hier – auf einen Sonnabend fällt, (soweit ersichtlich) bisher ausdrücklich offengelassen (vgl. BGH, Urt. v. 27.04.2005 – VIII ZR 206/04, vgl. o.a.).
Das LG Berlin schließe sich dem VIII. Senat des BGH und den entsprechenden Stimmen in der Literatur an. Die vom III. Senat des BGH vertretene Auffassung zur Anwendung des § 193 BGB auf Kündigungsfristen sei nicht zwingend, jedenfalls nicht im Anwendungsbereich des § 573c Abs. 1 Satz 1 BGB. Für den Erklärenden (Mieter oder Vermieter) stelle sich die Karenzfrist des § 573c Abs. 1 Satz 1 BGB („spätestens am dritten Werktag“) bei lebensnaher Betrachtung als Frist (Termin) für die Abgabe einer Willenserklärung i.S.d. § 193 BGB dar, denn die – regelmäßig in Aussicht genommene – Folge des Wirksamwerdens der Kündigung zum Ablauf des übernächsten Monats (bzw. zum in § 573c Abs. 1 Satz 2 BGB bestimmten Termin) und damit die Rechtsfolge der Beendigung des Mietverhältnisses zu dem gewünschten Termin hänge davon ab, dass er die Erklärung spätestens am letzten Tag der Karenzfrist abgebe. Er sei wegen § 130 Abs. 1 BGB deshalb gehalten, den Zugang der Erklärung innerhalb der Karenzfrist des § 573c Abs. 1 Satz 1 BGB spätestens zum dritten Werktag sicherzustellen, dies unter der erschwerenden Bedingung, dass er moderne Kommunikationsmittel – wie E-Mail und Fax – wegen §§ 568, 126 BGB und mangels einer § 130 Nr. 6 ZPO vergleichbaren Regelung nicht nutzen könne.
Der Gesetzgeber habe mit der Neufassung des § 193 BGB und weiterer Vorschriften wie etwa den §§ 216, 222 ZPO auf die fortschreitende Tendenz zur Einführung der Fünf-Tage-Woche reagieren wollen. Er habe dabei unter anderem das Problem gesehen, dass die Bevölkerung genötigt sei, Fristen und Termine gegenüber Gerichten, Behörden und Banken auch an einem Sonnabend zu wahren, obwohl diese an diesem Tag nicht mehr arbeiten. In vielen Fällen würden Fristen und Termine deshalb schon am Freitag gewahrt, was praktisch zu einer Fristverkürzung führe. Er habe es im Hinblick auf die mit der weitreichenden Einführung der Fünf-Tage-Woche verbundenen Unzuträglichkeiten im Rechtsverkehr deshalb für angezeigt gehalten, dass der Sonnabend bei dem Ablauf von Fristen und für die Wahrnehmung von Terminen grundsätzlich ebenso behandelt werde wie ein Sonntag oder Feiertag (vgl. BT-Drs. IV/3394, S. 3).
Die Intention des Gesetzgebers beschränke sich demnach nicht auf die Regelung des Fristablaufes, sondern bezog die Einhaltung von Fristen in die Überlegungen ein. Folgerichtig habe er nicht nur Regelungen im Prozessrecht angepasst, sondern – unter anderem auch – die materiell-rechtliche Regelung des § 193 BGB.
Die vom III. Zivilsenat angedeutete Schutzbedürftigkeit des Erklärungsempfängers trage keine andere rechtliche Bewertung bezüglich der Anwendung des § 193 BGB auf die Karenzfrist nach § 573c Abs. 1 Satz 1 BGB.
Der Gesetzgeber habe ausschließlich den Schutz des Erklärenden in den Blick genommen, nicht aber den des Erklärungsempfängers (vgl. BT-Drs. IV/3394, S. 3f.).
Die Revision sei gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO zuzulassen gewesen, um dem BGH (ggf.) Gelegenheit zu geben, die bisher offengelassene Frage zur Anwendung des § 193 BGB im Rahmen des § 573c Abs. 1 BGB zu beantworten. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung; die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderten eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

C. Kontext der Entscheidung

Die Ausführungen des Berufungsgerichts sind stimmig; ihnen ist in jeder Hinsicht zuzustimmen. Im Übrigen hat der VIII. Senat des BGH die Rechtsfrage in dem Urteil von 2005 zwar dahinstehen lassen, weil es darauf überhaupt nicht angekommen war. Deswegen hätte sich der BGH etwas „vorsichtiger ausdrücken dürfen/sollen“ – etwa ausdrücklich darauf hinweisen sollen, dass die Frage der Anwendung des § 193 BGB für den Fall, dass der letzte Tag der Karenzzeit auf einen Sonnabend fällt, offenbleibt. Vielleicht wollte er das aber gar nicht und hat somit „eigentlich“ die Frage schon beantwortet und bejaht, zumal er ausdrücklich auf § 193 BGB, der eine Willenserklärung erfordert, eingegangen ist.
Hingegen erscheinen die Ausführungen des III. Senats des BGH zum Schutz des Erklärungsempfängers/Erklärenden etwas „nebulös“. Ferner mag auf eine Entscheidung ebenfalls des III. Senats des BGH vom 06.12.2007 (III ZR 146/07 – WuM 2008, 80) hingewiesen werden. In diesem Urteil nimmt er schon die Neufassung des § 222 Abs. 2 ZPO aus 2002 voraus und überträgt den § 193 BGB in entsprechender Anwendung auf § 222 ZPO. So erhellt sich nicht, warum § 193 BGB nicht zumindest auch entsprechend auf Kündigungen anwendbar sein kann.

D. Auswirkungen für die Praxis

Unmittelbare Auswirkungen gibt es nicht. Immerhin aber ist die Entscheidung des LG Berlin ein weiterer „Meilenstein“ in Richtung einer generellen Akzeptanz der Aufgabe des Sonnabends als Werktag. Aber: Höchstrichterlich verbleibt es dabei, dass es noch keine einheitliche Rechtsprechung hierzu gibt. Der VIII. Senat des BGH scheint auch auf diesem Wege zu sein. Aber es gibt ein altes Sprichwort: „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“. Das bedeutet, dass man jetzt immer noch – jedenfalls teilweise – den Sonnabend als Werktag einkalkulieren sollte.