Nachfolgend ein Beitrag vom 9.3.2017 von Herlitz, jurisPR-MietR 5/2017 Anm. 2

Leitsatz

Beruft sich der Mieter auf einen seinen Zahlungsverzug ausschließenden unvermeidbaren Tatsachenirrtum, weil er vor Zugang der Kündigung keine Kenntnis vom Ausbleiben der vom Jobcenter übernommenen Zahlungen gehabt habe, ist er für seine Unkenntnis darlegungs- und beweisbelastet. Behauptet der Vermieter, den Kündigungsrückstand vorher angemahnt zu haben, hat der Mieter den Nichtzugang der Mahnung beweisen.

A. Problemstellung

Übernimmt das Jobcenter Mietzahlungen für den Mieter direkt an den Vermieter, so stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit der außerordentlichen Kündigung bei Zahlungsverzug. Problematisiert wird dabei häufig die Bedeutung des „Verschuldens“.

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung

Die klagenden Vermieter haben das Mietverhältnis gemäß § 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b BGB aus wichtigem Grund gekündigt und auf Räumung und Herausgabe der Wohnung geklagt. Der Mieter, dessen Miete vom Jobcenter übernommen wurde, war unstreitig in einem Zeitraum, der sich über mehr als zwei Termine erstreckte, mit der Entrichtung der Miete in Höhe eines Betrages in Verzug, der die Miete für zwei Monate erreicht hat. Der Mieter wehrte sich gegen die Kündigung mit dem Hinweis, dass er den Verzug nicht zu vertreten gehabt habe. Er habe nichts davon gewusst, dass das Jobcenter die Miete nicht gezahlt habe.
Das LG Berlin hat im Hinblick auf die hier zu interessierende Frage gemeint, das die zwischenzeitlich eingelegte Berufung offensichtlich unbegründet sei und deshalb gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO im Beschlusswege zurückzuweisen sei.
Den Klägern stehe gegenüber dem Beklagten der erstinstanzlich zuerkannte Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gemäß den §§ 546 Abs. 1, 985 BGB i.V.m. § 543 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b BGB zu, da das Mietverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Kläger vom 06.11.2015 beendet worden sei. Das Amtsgericht habe beanstandungsfrei mit zutreffender Begründung angenommen, dass die Kläger berechtigt gewesen seien, das Mietverhältnis gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b BGB fristlos zu kündigen, da sich der Beklagte zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung mit restlichen Mieten seit Mai 2012 i.H.v. insgesamt 1.155,39 Euro in Zahlungsverzug befunden habe.
Das Amtsgericht gehe, so das LG Berlin, beanstandungsfrei mit nachvollziehbarer, zutreffender Begründung davon aus, dass die rückständigen Mietzahlungen entgegen der Ansicht des Beklagten nicht gemäß § 286 Abs. 4 BGB infolge eines Umstandes unterblieben seien, den er nicht zu vertreten habe. Soweit die Berufung hierzu geltend mache, der Beklagte habe sich in einem den Verzug gemäß § 286 Abs. 4 BGB ausschließenden unvermeidbaren Tatsachenirrtum befunden, da ihn an den fehlenden Mietzahlungen des Jobcenters Mitte sowie des Bezirksamtes Wedding kein Verschulden treffe und er vor Zugang der Kündigung nicht von den unterbliebenen Zahlungen wusste, vermöge er damit nicht durchzudringen. Zwar komme der Gläubiger bei Vorliegen eines Tatsachenirrtums mit der fälligen Leistung solange nicht in Verzug, wie er gewichtige tatsächliche Bedenken gegen das Bestehen seiner Leistungspflicht haben könne (vgl. LG Berlin, Urt. v. 24.07.2014 – 67 S 94/14 und nachgehend BGH, Beschl. v. 17.02.2015 – VIII ZR 236/14). Diese Möglichkeit scheide vorliegend jedoch im Hinblick auf die Zahlungserinnerung vom 08.10.2015 aus, in der der Beklagte wegen eines Rückstandes i.H.v. 1.119,27 Euro gemahnt und unter Kündigungsandrohung aufgefordert wurde, bis zum 25.10.2015 die Zahlungen vorzunehmen bzw. eine schriftliche Übernahmebestätigung des Jobcenters vorzulegen.
Soweit der Beklagte insoweit auch im zweiten Rechtszug darauf verweise, die Mahnung erst gemeinsam mit der Kündigung vorgefunden zu haben, mit der Folge, dass den Klägern der Nachweis einer rechtzeitigen Mahnung nicht gelungen sei, vermöge er damit nicht durchzudringen. Denn das Vertretenmüssen des Schuldners gemäß § 286 Abs. 4 BGB sei keine von dem Gläubiger zu beweisende Verzugsvoraussetzung, sondern sein Fehlen ein Einwendungstatbestand, für den der Schuldner die Beweislast trage (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.2011 – VII ZR 53/10 Rn. 15 – NJW 2011, 2120). Damit habe der Beklagte den Nicht-Zugang der Mahnung beweisen müssen. Daran fehle es bereits mangels Beweisantritts.
Abgesehen von der somit anzunehmenden Kenntnis der ausgebliebenen Zahlungen habe der Beklagte nach seinem eigenen Vortrag zudem eigeninitiativ wiederholt die klägerische Hausverwaltung gebeten ihm ausgebliebene Zahlungen mitzuteilen, was zeige, dass ihm bestehende Probleme hinsichtlich der rechtzeitigen Begleichung fälliger Forderungen aus dem Mietverhältnis durchaus bewusst gewesen waren. Das ergebe sich schließlich auch aus der Bezugnahme in dem Mahnschreiben auf ein zuvor erfolgtes Aufsuchen der Hausverwaltung durch den Beklagten, bei dem möglicherweise auftretende Verzögerungen von Zahlungen des Jobcenters bereits thematisiert worden seien.
Da mithin mangels Entlastungsbeweises von einem schuldhaften Zahlungsverzug des Beklagten in einem für eine fristlose Kündigung gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3b BGB ausreichendem Umfang auszugehen sei, könne dahinstehen, ob sich der Beklagte nach Zugang der Kündigung tatsächlich unverzüglich mit den entsprechenden Sozialbehörden in Verbindung gesetzt habe.

C. Kontext der Entscheidung

Beim Lesen dieser Entscheidung denkt man automatisch an das Urteil des BGH vom 29.06.2016 (VIII ZR 173/15). Dort hatte der BGH entschieden, dass eine Behörde, die im Rahmen der Daseinsvorsorge staatliche Transferleistungen erbringe, nicht als Erfüllungsgehilfe des Mieters tätig werde, wenn sie für ihn die Miete an den Vermieter zahle (Bestätigung der Urteile des BGH v. 21.10.2009 – VIII ZR 64/09 Rn. 27 ff. – NJW 2009, 3781 und v. 04.02.2015 – VIII ZR 175/14 Rn. 20 – BGHZ 204, 134). Gleichzeitig entschied der BGH weiter, dass ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung i.S.d. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB auch – unabhängig von einem etwaigen Verschulden des Mieters – allein in der objektiven Pflichtverletzung unpünktlicher Mietzahlungen und den für den Vermieter daraus folgenden negativen Auswirkungen liegen könne, wenn die Gesamtabwägung ergebe, dass eine Fortsetzung des Mietverhältnisses für den Vermieter unzumutbar sei. Die Abwägung obliege dem Tatrichter.
Mit dieser Entscheidung hatte der BGH bei der Anwendung der Generalklausel auf das Erfordernis des Verschuldens als Tatbestandsmerkmal verzichtet. Börstinghaus hat mit Recht darauf hingewiesen, dass mit § 543 Abs. 1 BGB bei der letzten großen Mietrechtsreform 2001 erstmals in der Geschichte des Mietrechts die Kündigung aus wichtigem Grund eingeführt worden sei. Ein wichtiger Grund liegt demnach vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das Verschulden – hierauf hat Börstinghaus hingewiesen – ist jetzt ein Abwägungskriterium neben anderen. Auch ohne Verschulden könne eine Kündigung aus wichtigem Grund möglich sein, wenn eine Abwägung aller Umstände zu einer Unzumutbarkeit auf Vermieterseite führe (Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 14/2016 Anm. 2)
Der Beschluss prüft jedoch nicht die Gesamtumstände, sondern stellt allein die Frage, ob ein Abwägungskriterium – hier das Verschulden – greift oder nicht. Auch wenn dieses Kriterium „insbesondere“ Abwägungskriterium ist, so lässt der Beschluss eine Abwägung der Gesamtumstände, mindestens aber einen Hinweis darauf, vermissen.

D. Auswirkungen für die Praxis

Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung wegen Zahlungsverzug gemäß § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3b BGB sind die Gesamtumstände entscheidend, die vom Tatrichter gegeneinander abzuwägen sind. Dies gilt auch dann, wenn das Jobcenter Mietzahlungen übernimmt. Auf ein Verschulden des Jobcenters kommt es dabei nicht an, da dieses nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters ist. Gleichwohl aber ist insbesondere als Vertreter des Mieters sehr sorgfältig darzulegen, dass diesen kein Verschulden trifft. In der Beurteilung ist sodann aber immer eine Gesamtabwägung vorzunehmen. Auch wenn also den Mieter kein Verschulden trifft, kann dies die fristlose Kündigung rechtfertigen. Jedoch sollte zuvor auch immer die Frage des Verschuldens geprüft werden.